In einer AMA Session auf Reddit (das ist so eine Art Chat-Interview wo jeder alles fragen kann) im Oktober 2018 wurde Chris Liebing nach einem Statement zum Klimawandel, der Jetsetterei der DJs und CO2 Emissionen gefragt und antwortete, er glaube dass seine vegane Ernährung mehr CO₂ einspare als seine ständige Welttournee im Flugzeug erzeugt. Und ruft auch gleich dazu auf jemand möge das doch mal überprüfen.
Da ich die Frage gestellt habe und bisher niemand angetreten ist diese auf Reddit zu beantworten (zumindest soweit ich rausgefunden habe), nehme ich den Pass an und habe mir das Thema mal angeschaut. Und gleich vorab: es geht mir hier nicht um Flight-Shaming oder darum mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die Frage bzw. Antwort hat mich selbst interessiert und ja, ich selbst fliege eigentlich auch zu viel.
Die Frage ist also wie viel CO₂ verursacht die Fliegerei eines Künstlers und gleicht eine vegane Ernährung diese CO₂ Belastung aus?
Besorgen wir uns mal ein paar Beispiele und Fakten.
Hier ein paar Tourdaten von Acts, zufallsmäßig ausgewählt. Ich schätze wir können in der Profiliga durchschnittlich von acht Terminen an vier Wochenenden ausgehen.
Nehmen wir weiter an das sind durchschnittlich pro Wochenendtrip ein internationales und ein europäisches Reiseziel, inkl. dem Heimflug. zB Frankfurt – Mexico – Barcelona – Frankfurt. Meistens werden ja Gigs auf anderen Kontinenten mit weiter Anreise zu einer USA-, oder Asien-Tour zusammengelegt und auch die Termine in Europa bzw. einem Land bestmöglich kombiniert; alleine schon aus Kostengründen und Reisedauer.
Bestimmt wird da auch mal Zug und Auto gefahren, bestimmt gibts auch manchmal Doppelbookings und mehrere Auftritte pro Tag, manchmal wird auch nur lokal getourt und gar nicht geflogen. Um diese kleine Rechnung nicht kompliziert zu machen rechnen wir mal nur mit 25 Wochenenden an denen geflogen wird.
Werfen wir mal den CO₂ Rechner von Atmosfair an: 1 Person, Businessklasse, Linienflüge.
Das ergibt in Summe 17,909 kg CO₂ für die Beispieltour Frankfurt – Mexico – Barcelona – Frankfurt
Nehmen wir mal an Künstler in der Top Liga machen mindestens 25 vergleichbare Trips pro Jahr, dann macht das –
25 x 18.000 kg = 450.000 kg CO₂ nur durchs Reisen per Flugzeug.
Und dabei haben wir die Begleitperson ja gar nicht mitgerechnet. Ein Künstler in der Liga ist mindestens mit einer Entourage aus Tourmanager und vielleicht auch noch zusätzlich Technik unterwegs. Stellt sich die Frage ob die Begleitung zum Künstler gehört oder nicht? Was meint ihr?
Wie siehts also mit der veganen Ernährung aus?
Der Umweltwissenschaftler Joseph Poore von der britischen Universität Oxford hat für den SPIEGEL den CO₂ Fußabdruck eines deutschen Veganers berechnet. Pro Kopf und Jahr produzieren die Deutschen durchschnittlich elf Tonnen Treibhausgase. Wer vegan lebt, reduziert seine Bilanz laut Poore um zwei Tonnen jährlich, bei ansonsten gleich bleibendem Lebensstil.
Quelle: DER SPIEGEL – 27.04.2019, Ann-Kathrin Nezik: Besseresser @ Blendle
Demnach stehen 450 Tonnen CO₂ Belastung durch Flugreisen gegenüber 2 Tonnen CO₂ Entlastung durch eine vegane Ernährung.
Das bedeutet zwei mal Berlin – Ibiza geflogen und schon ist das vegan eingesparte CO₂ schon wieder verblasen. Mit ohne Fleisch, Fisch und Milch zu leben kann also die Geschäftsreisen eines DJs nicht kompensieren – nicht mal ansatzweise. Leider.
Trotzdem zitieren wir hier nochmal Herrn Poore:
„Eine vegane Ernährung ist der wahrscheinlich größte Hebel, um den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern“.
Sollten DJs demnach besser zuhause bleiben oder nur max. noch mit dem Rad zu ihren Gigs fahren? Sollten demnach Veranstalter auf Auftritte von Acts von ausserhalb verzichten und nur noch Residents buchen?
Und es geht ja natürlich nicht nur um Jetset DJs, sondern auch um Easyjetraver, Ibiza Fans, Festival Müll, usw.
Brauchen wir jetzt recyceltes Vinyl, Bass aus Öko-Strom, kompostierbare VIP Bändchen, essbare Strohhalme für unsere regionalen Gin Tonics, Bio-Koks und Pillen ohne Weichmacher?
Wohl kaum, das wäre doch wahrscheinlich übertrieben.
Es gibt eine relativ einfache Lösung und zwar die Kompensation von CO₂ Emissionen.
Richie Hawtin und seine Minus Labelcrew haben 2007 (!) schon angekündigt sämtliche Treibhausgase durch Flüge zu kompensieren. (Ich habe bei Minus angefragt ob die das immer noch durchziehen aber leider noch keine Antwort bekommen.) Auch Fedde le Grand hatte 2011 ähnliches verkündet.
Dabei wird berechnet wie viel CO₂ Treibhausgas erzeugt wurde und ein € Wert bestimmt. Der Verursacher spendet den Betrag dann an eine CO₂ Offset Organisationen wie z. B. Atmosfair, Climate Fair, Primaklima, o. ä. und die stecken das Geld dann in Klimaschutzprojekte (Wasserkraftwerke, Biogas, Schutzwälder, etc. ) die das CO₂ wieder einsparen. Das löst zwar nicht das Problem an sich, schafft aber wenigstens eine Art Kreislauf, der die ganze Katastrophe nicht noch schlimmer macht.
Brauchen wir also DJs mit CO₂ Öko-Siegel auf den Lineups?
Wäre das denn nicht eine Idee für die gesamte Szene bzw. Branche?
Wie viel Wald müsste die Time-Warp jedes Jahr neu pflanzen um die Umweltsauerei, die wir alle beim Tanzen verursachen wieder glatt zu bügeln?
Oder könnten wir uns nicht wenigstens irgendwie mal zusammentun und mit einem Techno-Forest anfangen?
Könnten “Klimaspenden” als Marketingkosten verrechnet werden?
Verpassen Künstler*innen in der elektronischen Musik hier eine großartige Chance um als Vorbilder ihren Einfluß und Reichweite für ein wichtiges Ziel einzusetzen? In Clubs und Raves schauen doch eh schon alle nur in Richtung DJ Booth und Bühne. Da könnte man doch mehr draus machen.
Ist es nicht auch schon längst Zeit für #DanceForFuture und #DJsForFuture … ?
Die Diskossion ist eröffnet.
Gegenstimmen, Anregungen, Ideen, Ergänzungen und Korrekturen bitte gerne in den Kommentaren.