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Rave regiert die Welt – wie sich die Technoszene selbst zerstört.

Der Rave regiert die Welt. Oder regiert das Geld den Rave? Wir wissen es nicht, aber machen uns dazu so unsere Gedanken!

Ein Gespräch aus den 90ern: „Krass, du hast ein Booking in Frankreich, jetzt hast du es geschafft. Aber noch gar kein Vergleich zum Väth, der spielt ja an Silvester dieses Jahr sogar in Thailand.“ Heute, in Zeiten in denen jeden Tag irgendwo auf dem Globus ein großer Rave mit einem überdimensionalen Line Up stattfindet völlig normal, damals noch was ganz besonderes. Techno war schon immer ein globales Ding und für einige große Acts auch schon immer ein gewinnbringendes Geschäft, denn die Raver in Russland, Argentinien und Indien sollen genau so in den Genuss kommen mal einen Chris Liebing zu hören, wie die Musikliebhaber in Europa. Das ist gut so, da die Musik Menschen aus aller Welt zusammenbringen soll und denen die als Künstler hart arbeiten auch ein gutes Einkommen bescheren. Aus diesem einst recht soliden Konstrukt ist in den letzten Jahren aber ein irgendwie maßloses Wettbieten um Gigs, Gagen und Flugmeilen geworden.

Die Technoglobalisierung zerstört die Clubs!

Technomusik ist Clubmusik. Sie verwandelt Räume in brodelnde Hexenkessel, in denen die verschwitzten Shirts mit den Körpern verschmilzen. Zumindest ist das der ursprüngliche Charakter, den die Musik mit sich bringt. Clubs scheinen aktuell aber nicht mehr so en vogue zu sein, was schade ist, da sie das Nightlife einer Stadt prägen, Arbeitsplätze schaffen und lokalen DJs eine Plattform bieten. Raver im Jahr 2017 sparen sich den Eintritt für den Club ums Eck aber und jetten stattdessen lieber zum Labelshowcase ihrer Lieblingstechnomarke mit 10 großen Acts nach Skandinavien, oder verbinden ihren Asienurlaub mit einem Festival und zwanzig Headlinern im Dschungel. Beim Sound Tulum werden mal schnell Solomun, Maceo Plex und Tale Of Us nach Mexico eingeflogen, das Epizode Festival erschließt jetzt auch das bisher vom Rave noch ziemlich unberührte Vietnam mit Carl Cox, Loco Dice und Dubfire und natürlich müssen beim Babylon in Melbourne fünfzig DJs der Größenordnung Eulberg, Robert Hood und Laurent Garnier auf der Liste stehen. Reisen gehört zum Clubben dazu und nirgends kann man eine neue Stadt oder ein Land so gut kennen lernen, wie in den Clubs, aber muss es an jedem Fleck der Erde übertrieben aufgeblasene Line Ups geben, für die sich die meisten Locals den Eintritt sowieso nicht leisten können? Um beim Beispiel des Epizode Festivals zu bleiben: Das Wochenendticket kostet dort 120$, wobei das Durchschnittseinkommen in Vietnam pro Monat bei rund 150$ liegt. Sollte sich einer der Locals den Ticketpreis trotz allem hart zusammensparen, dann wird das für viele Monate der einzige Partybesuch bleiben von dem die lokale Musikszene und die Clubs leider rein gar nichts haben, da ihnen dadurch die Besucher und die Einnahmen an der Theke ausbleiben.

It’s all about the music. Not!

Von DJs hört man immer wieder, dass sie das alles nur aus Liebe zur Musik und zur Party machen. Bei 5 bis 6-stelligen Festivalgagen, die sie jede Woche mehrmals kassieren, fehlt solchen Aussagen aber die Glaubwürdigkeit und entzieht der eigentlichen Szene komplett den Boden. Aus finanziellen Aspekten ist es völlig verständlich, dass Künstler ein Pauschalangebot über 300.000$ für fünf Gigs in Australien bevorzugen, anstatt am Wochenende von Hamburg nach Brüssel und Linz zu tingeln. Der regionale Club in Augsburg oder Dresden mit einer Gästekapazität von 800 Leuten bleibt dabei aber auf der Strecke, wenn er im Gagenroulette nicht mitbieten kann. Für die Technokultur und die Weiterentwicklung der elektronischen Musik wäre eine gesunde Mischung wahrscheinlich genau das Richtige. Durch eine Hand voll exklusiver Clubshows im Jahr, die einige Acts immerhin spielen, stimmt das Mischungsverhältnis aber trotzdem noch lange nicht.

Think global – rave local!

Das eventgetriebene Reisen hat sich bis vor ein paar Jahren auf den Sommertrip nach Ibiza, die Winter Music Conference in Miami und besondere Events wie unser PARTYSAN Yachting oder Rave on Snow beschränkt. Dazwischen standen auch bei großen Namen Clubtouren auf dem Programm, mit denen sie die Raver in vielen Städten dieser Welt beglückt haben und die Local-DJs ihr Können an der Seite eines Weltstars unter Beweis stellen konnten. Dafür musste nicht in jedem Kaff ein Festival stattfinden, auf dem dann gleich mehrere hochbezahlte Weltenbummler aus den Bookingkatalogen der großen Agenturen zusammengekauft werden. Heute ist aber genau das Standard und es gehört fast schon zum guten Ton ständig die Superstars bei ihren Gigs in einem fernen Land zu erleben und wenn die großen Player nicht mindestens in dreißig Ländern pro Jahr auf den Plakaten ganz oben stehen, verlieren auch ihre Instagramstorys an Stellenwert. Natürlich ist es geil, wenn alle Menschen auf der Welt die Möglichkeit haben elektronische Musik zu hören und gute Acts zu erleben. Die Infrastruktur verbessert sich auf allen Kontinenten und Künstler können dadurch überall hin reisen. Das heuschreckenartige Einfallen mit einer riesen Entourage an Big Names hat aber nichts mehr damit zu tun die lokale Szene eines Landes mit einem guten Booking zu beglücken, sondern nur noch damit, den Geldsack aufzuhalten.

Der sichere Weg dem Ende entgegen

Irgendwie klingen diese Gedanken nach früher war alles besser. Sollen sie aber gar nicht! Schon in den 90ern sind bei der Love Parade riesige Menschenmassen nur für einen Rave nach Berlin gereist und wären die Jungs aus Detroit nicht ins Flugzeug gestiegen, hätten sie ihren Sound auch nie nach Europa gebracht. Entwickelt hat sich aber alles in den Clubs der Städte. In den Clubs wurden neue Sounds getestet, Hits geboren und DJs zu Entertainern geschliffen. Wenn die Clubszene durch die Technoglobalisierung aber auf der Strecke bleibt, keine charismatischen DJs mehr aus ihr hervorgehen und die heutigen Protagonisten, die alle Mitte 40 bis Mitte 50 sind, die Bühnen verlassen, bedeutet das auch das Ende der Ravekultur.

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