Ricardo Villalobos

Ricardo Villalobos & Luciano: Yankee Go Home

Sie gehören angeblich schon seit Jahren zusammen wie der Sommer und die Sonne. Luciano, der hochgelobte Neuling in der elektronischen Nachtkultur, und Ricardo Villalobos, der ungekrönte Festivalkönig und für viele der Väth des neuen Jahrtausends.

Als Produzent eines Styles der keine Schubladen kennt, hat Ricardo sich über Jahre in einer Nische der elektronischen Tanzmusik eine Vorreiterrolle erarbeitet, die er mit jedem Gig und jeder Produktion aufs Neue definiert. Keine schnelle Hausmannskost, sondern Musik für Geniesser, die sich Zeit nehmen und sich von Ricardo gerne auf seine obligatorischen Reisen entführen lassen. Nach Produktionen auf renommierten Labels wie z.B. Perlon, Playhouse, Lo-fi, Research, Below, Frisbee, Harthouse und Kanzleramt ist es nun endlich soweit. Ricardo Villalobos veröffentlicht seinen ersten Longplayer „Alcachofa“ der in den letzten Tagen auf Playhouse erschienen ist. Die beiden Ohrwürmer Easy Lee und Dexter liefen bereits in den letzten Monaten bei den wenigen und umso glücklicheren DJs, die eine Promo erhalten hatten, in Dauerrotation und mutierten zu absoluten Sommerhymnen.

Doch auch sein jüngerer „Stammesbruder“ Luciano schliesst langsam aber zügig zu seinem Freund Ricardo auf. Seit 1997 produziert der inzwischen 25-Jährige und machte durch Veröffentlichungen auf Labels wie Transmat, Perlon, Lo-Fi Stereo, Bruchstücke und Klang Elektronik bereits seit Jahren auf sich aufmerksam. So richtig räumte der junge Chilene jedoch erst in den letzten Monaten auf, als er reihenweise die renommierten Groove Charts, wie auch die Plattenkisten vieler Techno und House DJs stürmte. Ob Tobi Neumann, Karotte, Steve Bug und allen voran Sven Väth und Ricardo Villalobos, alle lieben und spielen Lucianos Sound. Wie die Reaktion sowohl bei den Techno- wie Housetanzflächen der Nation ausfällt, braucht also nicht explizit erwähnt werden…;-)

Ganz besonders freuen wir uns deshalb auch, Luciano am Samstag, den 11.10. bei unserem Partysan Event „SÜDPOL“ im Würzburger Airport begrüssen zu dürfen. In Anbetracht von Lucianos Erfolg, der immer noch bestehenden Mystik um seine Person und seiner Freundschaft zu Ricardo, aber natürlich auch aufgrund Ricardos neuem Album haben wir die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und uns mit beiden unterhalten. Mit dem Partysan Rhein-Main-Saar sprachen sie über das Salz in der Suppe des Lebens. Über Musik, Szenen, Partys und Familie.

Partysan (an Luciano): Erinnerst du dich an dein erstes Treffen mit Ricardo? Wann und wo war das?

Ich erinnere mich daran, dass ich ihn in Santiago de Chile kennen lernte, als ich noch ziemlich klein war. Das war bei Adrian, und ich weiß noch, dass er gerade aus Europa kam. Adrian hatte mir viel von ihm erzählt. Als wir uns trafen, entstand gleiche eine Freundschaft und wir haben seit dem ständigen Kontakt. Genau wie Martin, Paula, Argenis oder Pier ist Ricardo für mich Teil meiner Familie. Ich liebe sie alle wie Geschwister.

Nach dem, was uns Ricardo erzählt hat, liegen deine musikalischen Wurzeln beim Techno. Wie kommt es, dass du nun beim House gelandet bist?

Ich komme aus der musikalischen Schule des Punk, beeinflusst haben mich aber auch Gabber, Hip-Hop, House und Techno. Gabber und Punk begeisterten mich als 15-Jähriger wegen der Energie, die darin steckt. Seither hat sich mein Musikgeschmack aber verändert, und ich habe seither mit vielen Musikstilen experimentiert, zum Beispiel auch mit Brakebeat. Ich würde nicht sagen, dass ich meinen Stil geändert habe, sondern ich habe eine natürliche Entwicklung durchgemacht, die jeder in gewisser Weise in seinem Leben erfährt. Meine Ohren achten immer darauf, was um mich herum geschieht, und das finde ich auch gut so, denn ohne Musik kann ich gar nicht leben!

Partysan (an Ricardo): Hat sich dein Sound in jüngster Zeit verändert? Gerade im Sommer hat man dich öfters mal etwas härter erlebt, oder waren das Einzelfälle?

Also verändert hat sich mein Sound überhaupt nicht. Seit ich auflege habe ich ein Faible für House Musik und alles was damit im weitesten Sinne zu tun hat. Die Sounds wurden einfach immer weiterentwickelt.

ricardo villalobos alcachofaIm September ist dein Album „alcachofa“ auf  Playhouse erschienen. Was hast du dir zu Beginn der Produktion vorgestellt und was ist daraus geworden?

Ich habe mir ehrlich gesagt gar nichts dabei gedacht. Ich habe vor mich hinproduziert, eine Veröffentlichung war nicht in Planung. Vor etwa zwei Jahren kam dann der Heiko von Playhouse auf mich zu und meinte: „Warum machst du nicht ein Album? Das ist wie ein Statement! Und wenn du das rausbringst, dann natürlich bei uns“.Ich habe 1994 schon meine erste Scheibe auf Playhouse veröffentlicht. Und somit stand fest, dass das Album auf Playhouse erscheint. Ich habe die Tracks ausgewählt, die am besten in den Playhouse-Kontext passen. Es sind noch andere Stücke in dieser Zeit entstanden, die ich auf anderen Labels herausbringen werde. Aber jetzt kam erst mal das Album.

Hast du das Album für DJs und Clubs oder eher fürs Wohnzimmer produziert?

Alle Stücke sind für den Club gemacht und stellen verschiedene Clubsituationen dar. Im Endeffekt produziere ich vor allem Stücke, die ich auch selber auflegen kann. Mein einziges Vorhaben ist die Clubsituation zu optimieren.

Dafür sind ein paar Stücke aber ganz schön schräg…

Ja, aber sie sind doch alle tanzbar. Kommt natürlich auf die Uhrzeit und die Clubsituation an, und vor allem auf das Publikum. Wenn man vor einem guten, erwachsenen Publikum steht, kann man auch alle Stücke spielen.

Apropos Unterschiede: Funktioniert deine Musik in einem Land besser als in einem anderen?

Die Hörgewohnheiten perkussiver Musik, und das ist ja die ganze Musik die wir machen, sind in anderen Kulturen viel verbreiteter als hier. Im Prinzip wird diese ganze Bewegung um Techno oder elektronische Clubmusik weltweit sehr gut verstanden, weil Rhythmus in jeder Kultur verstanden wird. Das heißt: Wenn du mit Leuten zu tun hast, die schon seit Jahrhunderten rhythmische Musik hören, hast du dort einfach ein besseres Verständnis. Zum Beispiel in Japan ist es so, dass die Leute analytisch auf den ganzen Sound achten. Wenn dann eine Hi-Hat im Track dazukommt, quittieren sie das mit Geschrei. Das ist in Deutschland nicht so.

Auf der Lovefamily-Website gibt es Bilder vom Liquidroom in Tokio, in dem du mal aufgelegt hast. Da liegen schlafende Japaner auf dem Fußboden….

Ja, das war total lustig. Die Japaner leben sehr „gesund“. Jeglicher Konsum wird von der Regierung verfolgt und wenn die Japaner müde werden, legen die sich um die Tanzfläche herum und schlafen. Egal bei welcher Lautstärke. Und die Anderen tanzen weiter in der Mitte. Die schlafen einfach überall, hierzulande unvorstellbar!

Luciano

Luciano, du bist anscheinend ja auch schon viel herumgekommen. Warum bist du nach Genf zurückgekehrt, wo du übrigens auch geboren wurdest?

Ich bin nach Genf gegangen, weil ich zu lange in Chile war, und ich war vom Leben dort gewissermaßen gesättigt. Ich sagte mir, ich muss meinem Leben eine neue Wendung geben, um weiterzukommen. In der Schweiz habe ich Toningenieur gelernt, und bald darauf kamen auch schon meine beiden wunderbaren Kinder, Amael und Lilou. Also bin ich mit meiner Familie in Genf geblieben.

Wie ist das Leben in Genf, verglichen mit dem Leben in Chile?

Es sind zwei verschiedene Welten, überall gibt es zwar dieselben Dinge, aber auf verschiedenem Niveau.

Ricardo: Die Musikszene steht in Deutschland oder auch der Schweiz auf einem ganz anderen Fundament. Man kann hier von der Musik leben, in Südamerika nicht. Dort haben nur zehn Prozent der zehn Millionen Einwohner das Geld, um sich Luxusartikel wie Musik zu leisten. Das ist dann die so genannte Dritte Welt und oftmals weiß man nicht, was das bedeutet.

Genf hat den Ruf, eine der luxuriösesten Städte zu sein, genau das Gegenteil gilt ja wohl für Chile, das immerhin noch den Status eines Entwicklungslands hat, und wo die Kluft zwischen arm und reich noch sehr groß sein soll…oder?

Luciano: Von welcher Art von Armut reden wir hier? Materiell gesehen gibt es in Genf natürlich mehr, aber das Leben ist das gleiche, manchmal sogar noch schwieriger. Ich ziehe es nämlich vor, weniger zu besitzen und dafür frei zu sein, als alles zu haben und dafür eingesperrt zu leben.

ricardo villalobos dj mix cocoonKommen wir zu Ricardos Mix-CD, die auf Cocoon-Recordings erschienen ist. Als DJ bist du nur schwer auf ein paar Stunden zu begrenzen. Ist dir die Auswahl der Tracks nicht unheimlich schwer gefallen?

Ich wollte auf der Mix-CD ein bisschen von allem dabei haben. Es fängt sehr elektronisch an, geht dann emotional weiter und endet dann in so einem House-Ding. Das ist auch meistens so, wenn wir auflegen. Früher dachte man immer, je später es wird umso härter kann man spielen. Das hat sich geändert. Und so ist es eben auch auf der CD.

Woher beziehst du deine Platten hauptsächlich?

Ich bekomme sehr viel zugeschickt, die meisten Platten muss ich aber immer noch selbst ausfindig machen. Das heißt, ich gehe in Plattenläden wie das Hardwax in Berlin oder das Freebase in Frankfurt und höre mir unglaublich viele Platten an. Und zwar nicht nur das, was in meinem Fach steht. Ich versuche immer, Platten zu entdecken, auf die der Verkäufer noch gar nicht aufmerksam wurde. Und das ist glaube ich die Kunst, genau das macht nach Jahren den gewissen Unterschied zwischen den DJs aus. Ich finde es unmöglich, wenn Leute mich anmailen und meine Playlist verlangen. Ich würde auch in einer Top Ten niemals alle meine Schätze preisgeben, never ever. Das Nachspielen von irgendwelchen Playlists wird einfach nie funktionieren. Es ist wichtig, seinen eigenen Stil zu haben und zugleich geschmackssicher zu sein.

Du spielst des Öfteren alte, aber noch eingeschweißte Platten. Was hat es damit auf sich? Kaufst du dir von vorneherein alle deine Platten mehrfach?

Also es ist so: es gibt bestimmte Platten die man schon seit jeher versucht in doppelter Ausführung zu bekommen. Irgendwann nach zehn Jahren Spielen sind die Platten so hinüber, vor allem die schlecht gepressten aus Amerika, dass man dann einfach zur nächsten Kopie greift. Es gibt schon Platten, die ich vier oder fünf Mal habe. Das sind einfach die, von denen ich denke, dass ich die meinen Kindern noch vorspielen muss….

Und zwar eine eingeschweißte!

Logisch! (lacht) Man betreibt ja auch einen Kult um die Platten. Es geht dabei ja um die Liebe für eine bestimmte Musik und ich denke es ist ganz normal, wenn man Liebhaber ist, dass man zwei oder drei Kopien von einer Platte hat. Ich meine, das was ein DJ verdient ist zum größten Teil damit gerechtfertigt, dass ein DJ nicht nur auflegt, sondern auch stundenlang in den Plattenläden herumgeistert. In meinem Fall mache ich das jetzt schon fast seit 20 Jahren und so ist es auch gerechtfertigt, wenn bestimmte DJs mehr Geld bekommen als andere. Bei mir spielt das Budget keine Rolle mehr. Aber früher, als ich noch keine größeren Gagen bekommen habe, hab ich mir oft lieber eine Platte gekauft als was zu essen. Ist schon ein ganz schönes Freaktum, auf jeden Fall….

Luciano, du hast ja vorhin auch von deinen Kindern gesprochen. Bist du jetzt zu einem richtigen Familienvater geworden?

Die Wahrheit ist, dass ich immer dachte, ich würde niemals einer werden. Aber jetzt habe ich gemerkt, dass ich auch nur ein Mensch bin, der unbedingt seine Freundin, Kinder, Mutter, Geschwister, und Freunde immer in seiner Nähe braucht. Das ist so wichtig wie Sauerstoff für mein Leben.

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Ist es ein Problem, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen?

Ein Problem ist es nicht, aber leicht ist es auch nicht. Die Atmosphäre auf Partys und auf Reisen ist ganz anders als zu Hause bei der Familie… Aber wenn man seine Leidenschaft ausleben will, muss man sich in gewisser Weise eben aufopfern, da führt kein Weg dran vorbei… (lacht)

Ist deine Familie denn immer auf deinen Reisen dabei?

Nein, leider nicht. Es ist nicht so leicht, den Tag-Nacht-Rhythmus, der sich während einer Tour umkehrt, mit zwei kleinen Kindern im Hotel oder im Restaurant durchzuhalten. Aber wenn es sich irgendwie einrichten lässt, ziehen wir natürlich am liebsten alle zusammen los.

Ricardo, auch du bist viel unterwegs. Wie sieht das Leben mit deiner Familie und Freunden aus?

Ich habe einen starken Drang, Zeit mit meiner Freundin und meinen Freunden zu verbringen. Deshalb gehe ich unter der Woche fast nie aus. Für mich ist das DJing eine Arbeit wie jede andere auch. Wie andere Leute jeden Tag um 6 Uhr aufstehen müssen und zur Arbeit gehen, mache ich das eben wochenends. Der Rest der Woche ist für mich das Wochenende. Die Arbeit im Studio hingegen ist so was wie mein Hobby und wird auch unter der Woche erledigt. Das ist eine komplett freiwillige Welt, in der ich mich erholen kann.

Apropos, nochmal zu deinen Produktionen. Mit „What you say is more than I can say“ und jetzt „Easy Lee“ hast du zwei sehr erfolgreiche Tracks mit Vocaleinlagen gezaubert. Wann und wie hast du die Gesangsspur für dich entdeckt?

Singen ist für mich generell sehr geläufig. Als ich vor ca. zwölf Jahren angefangen habe, Musik zu machen, nahm ich als großer Depeche-Mode-Fan viele Vocaltracks auf. So HipHop-Elektronik-Pop-Stücke, die heute auf irgendwelchen Cassetten schlummern. Mein größtes Ziel ist, diese Tracks nochmal neu aufzunehmen und ein Popalbum rauszubringen.

Gibt es da schon konkrete Pläne für?

Ja klar. Das wird neben meinem hauptsächlich Maxi-Single-orientierten Clubmusikdasein mit das Wichtigste sein.

Seit geraumer Zeit wird deine Name in Deutschland oftmals mit den Begriffen „Trendsetter“ oder „Meinungsbildner“ verbunden, wenn es um neue Impulse aus dem Niemandsland minimaler Independent-Dancemusic geht. Ehrt dich das?

Es ist natürlich schön, wenn man mit seiner Musik Aufmerksamkeit erregen und auch beeinflussen kann. Für mich gibt es nichts Schöneres als in Clubs zu gehen, wo gute Musik läuft, die nicht zu offensichtlich produziert ist und die man in mehreren Facetten wahrnehmen kann. Das ist die Clubmusik, die meiner Meinung nach Zukunft hat. Da gibt es aber auch sehr viele Tracks aus der Vergangenheit, die uns alle beeinflusst haben, die Chicago-Sachen, Detroit, Warp, die ganze Supermusik aus England, aber auch die deutschen Produktionen, z. B. von Basic Channel. Es ist mir wichtig, dass man diese Musik halt auch promotet. Es passiert oft, dass ich beim Auflegen gefragt werde, was dies und das für eine Platte sei, und ich muss dann leider sagen, dass die Platte schon zehn Jahre alt ist. Da gilt es auch aufzuzeigen, dass diese Musik im Grunde besser ist als die, die im Moment produziert wird.

Ricardo Villalobos Luciano

Du bist da etwas „missionarisch“ unterwegs?

Genau. Ich will den Leuten einfach ein wenig von den Wurzeln vermitteln, das ist, glaube ich, auch wichtig. Und da ist es gut, in dieser Position zu sein. Auf der anderen Seite versuche ich aber auch, nicht alles zu verraten, was da so existiert. Ich befinde mich ständig auf der Suche nach neuen Sachen. Es gibt so viel davon, dass man schon jetzt den Rest des Lebens die Musik hören könnte, die momentan schon da ist. Da gibt es noch viel aufzuholen, auch für mich.

Was kommt nach dem Album? Sicher die dazugehörige Tour, oder?

Jetzt steht erst mal die Albumveröffentlichung an. Und dann ja, folgt die Tour von Oktober bis Februar. Danach wird es weitere Produktionen geben. Dazu stehen Remixe für Plastikman, Robert Hood und für Hell´s LP an.

Holla …

Ja, es ist aber auch eine extreme Verantwortung, denn es ist überhaupt das erste Mal, das Plastikman oder Robert Hood geremixt werden, das gab es bisher nicht.

Wir sind gespannt … In einem früheren Zeitalter nannte man umherziehende Tonunterhalter Barde oder Troubadour. Siehst du dich – im positiven Sinne – auch als musizierender Vagabund, der an vielen Orten ein Zuhause hat?

Ja, natürlich. Ich glaube, es liegt in der Natur des Menschen sich zu verbreiten, z. B. liegt dies auch in der sexuellen Natur des Mannes (lacht), das geht alles Hand in Hand. Wenn man die Möglichkeit hat, Musik zu propagieren, die nicht langweilig und dazu gut für die Clubsituation ist, dann ist das die Zukunft von Clubmusik.

Du bist als Dreijähriger mit deiner Familie aus Chile nach Deutschland emigriert, wie sehen deine Verbindungen nach Südamerika heute aus?

Ich bin in Chile geboren, meine ganze Kultur, mein Humor, mein ganzes Ich ist größtenteils von dort geprägt. Deutschland ist eine angelernte Welt, in der ich zwar schon 30 Jahre lebe, aber das ist halt eine Art Parallelwelt. Ich bin jedes Jahr zwei Monate in Chile, um meine Familie und meine Freunde zu besuchen.

So sehr dir Südamerika nahe steht, so fern sind dir die Beziehungen zum Nordamerika unter G.W. Bush. Stimmt es, dass du zum „Kulturboykott“ der USA aufrufst und wegen ihrer „beschämenden Außenpolitik“ momentan dort nicht spielst?

Aufgrund der amerikanischen Außenpolitik mussten wir in Chile schon einen Militärputsch über uns ergehen lassen. Aber zum Boykott aufrufen muss ich gar nicht erst, weil über 300 Künstler, die ich kenne, sich absolut weigern, in Amerika zu spielen. Für mich ist es im Prinzip ganz positiv, dass Amerika die Hosen runterlässt und zeigt, wie sie schon über Jahrzehnte hinweg agieren, und jetzt einfach überhaupt keinen Hehl mehr draus machen. Jeder Fauxpas und jede Schweinerei, die angestellt wird, wird nicht mal mehr groß kaschiert.

Meinst du nicht, es wäre besser hinzugehen und den Mund aufzumachen, anstatt zum Kulturboykott aufzurufen?

Auf gar keinen Fall. Wenn ich mir schon an der Grenze gefallen lassen muss, dass ich aussehe wie der Sohn von Osama bin Laden …

… so wurdest du bei der Einreise „begrüßt“?

Ich bin von Mexiko nach Tokio geflogen und musste mir das bei einem Zwischenstopp in Los Angeles anhören. Das war zwei Tage vor Kriegsbeginn im Irak, ich musste mir die Frage gefallen lassen, was mir den einfiele, so auszusehen. Und da bin ich fast geplatzt. Ich habe viele Freunde dort und es gibt exzellente Musiker, aber das kann man einfach nicht unterstützen. Sehr viele amerikanische Künstler hauen auch von dort ab.

Wie stehst du generell zu dem Thema, politische Haltung mittels Musik zu thematisieren?

In Südamerika ist Musik ein sehr wichtiges Medium gewesen, um politische Ideen zu übertragen. Das hat Revolutionen und sogar Machtwechsel hervorgebracht, und nun zu sagen, dass Musik nicht dazu verwendet werden sollte, wäre ganz falsch. „Messages“ mit Musik gekoppelt sind extrem effektiv. Es wäre sehr schade, wenn man eine so massive Bewegung wie die der elektronischen Clubmusik in solchen Zeiten nicht auch als Medium verwenden würde. Das wäre sogar extrem blöd.

Du selbst hast aber nicht das unbedingte Bedürfnis, Dinge, die dich weltpolitisch bewegen, in einem Song unterzubringen?

Doch. Auf meinem neuen Album gibt es einen Track, der heißt „Y.G.H.“, und das bedeutet Yankee Go Home. (lacht süffisant)

Das ist also dein kleiner Beitrag …

… und sogar mein Lebensslogan. (lacht weiter)