Magnetische Polarexpedition Interview Sleeparchive

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Auf die VÖs von „Sleeparchive“ konnten sich DJ´s unterschiedlichster Couleur einigen. Die 12″ – Elephant Island schien eine Zeitlang gar omnipräsent zu sein. Angesichts der Kompromisslosigkeit der Tracks mag das durchaus verwundern.

Partysan: Auf Discogs ist zu lesen, dass du Stephan Metzger heißt. Stimmt das?

Ja, auf jeden Fall bin ich nicht Richie Hawtin. Das stand ja bis vor kurzem auch bei Discogs.

Du bist aus Berlin und lebst jetzt in Düsseldorf, hab ich gelesen. Wie kommts dazu?

Meine Freundin kommt aus Düsseldorf.

Kannst du ein paar Stationen deiner musikalischen Sozialisation aufzählen?

Aphex Twin, Mika Vainio, Joy Division, Kraftwerk, Hardwax. Nicht in der Reihenfolge und auch nicht die einzigen, aber die sind mir spontan eingefallen…Ach ja, zum Techno bin ich über Jeff Mills gekommen.

Sleeparchive ist sowohl der Name des Acts wie des Labels. Was bedeutet der Begriff für dich?

Sleeparchive hat sich als Name durch Zufall ergeben. Ich kann gar nicht mehr genau sagen wie es dazu kam. Eigentlich wollte ich „November Uniform“ als Artistnamen verwenden. Das habe ich jedoch schon nach kurzer Zeit wieder verworfen.

Hast du vor der „Elephant Island EP“ schon Musik veröffentlicht?

Ja.

Was denn so?

Einige 7″ und 12″ unter verschiedenen Namen, aber kein Techno. Das ist erstmal alles auf Eis gelegt, weil mir Sleeparchive jetzt am meisten Spaß macht.

Wo sind die Platten denn gemastert? Die Gravur im Spiegel kann ich bei bestem Willen nicht entziffern.

Alle Sachen sind bei D+M [Dubplates & Mastering] in Berlin gemastert. Auf der nächsten Platte wird das aber auch draufstehen.

Im Intro von „Elephant Island“ ist offenbar Sir Ernest Shackleton zu hören, der 1916 im Verlauf seiner „Endurance“-Expedition zum magnetischen Südpol 22 Männer auf Elephant Island zurücklassen musste. Wie bist du auf die Story gestoßen?

Sleeparchive-Hospital-TracksIch habe vor einiger Zeit einen Bericht im TV darüber gesehen. Kurz danach, als ich im Internet mal wieder auf der Suche nach Edison-Walzen war, bin ich über eine Walze gestolpert, auf der Shackleton über seine Expedition berichtet. Eigentlich wollte ich eine Platte machen, die sich nur mit Shackleton beschäftigt. Das hat aber nicht funktioniert und somit ist nur die eine Minute am Anfang der ersten Platte übrig geblieben. Du bist übrigens der erste, der das Sample erkennt. Für gewöhnlich fragen mich die Leute, was der bescheuerte Name „Elefanten Insel“ soll. Törööö!

Was fasziniert dich daran, wo siehst du Parallelen zu deiner Musik?

Parallelen zu meiner Musik sehe ich da nicht. Die Geschichte war einfach interessant und ich mag alte Tondokumente.

Hatte Shackleton einen Phonograph an Bord, oder ist die Aufnahme nach der Expedition entstanden? Interessierst du dich allgemein für Technologiegeschichte?

Sie ist nach der Expedition entstanden. Einen Phonographen hätte ich ganz gerne bei mir zu Hause, aber ich interessiere mich nicht speziell für Technologiegeschichte. Edison als Erfinder ist aber schon interessant.

Deine Platten werden über Hardwax vertrieben. Was bedeutet dieser Kontext für dich? Ist der Basic Channel und Chain Reaction-Sound wichtig für deine Musik? Würdest du sagen, du machst Dub Techno?

Nein, ich mache keinen Dub-Techno. Ich bin vom Sound sehr weit weg von Chain Reaction. Hardwax ist, was meine musikalische Sozialisation angeht, extrem wichtig für mich gewesen, und ist es immer noch. Hardwax ist einfach der beste Plattenladen, mit den besten Leuten!!!

sleeparchive single paper cupIch hab gehört, dass die Nachfrage nach deinen Platten Hardwax dazu bewegt hat, die Nachpressung früher Sähkö-Releases zu veranlassen, wegen der Klangverwandtschaft. Waren die tatsächlich von großem Einfluss auf dich damals? Und was genau daran?

Hardwax hat ja schon früher Sähkö-Platten nachgepresst. Die Überschneidung von meiner Platte und den Wiederveröffentlichungen ist mit Sicherheit eher zufällig. Sähkö ist eines der wenigen Label, deren Veröffentlichungen man sich auch noch 15 Jahre später anhört und man immer noch Gänsehaut bekommt und einem gelegentlich die Kinnlade runterfällt.

Die Sicherheit, mit der die Sounds ausgespielt werden, scheint mir jedenfalls schon eine Hypothek auf den Techno der Neunziger. Ist deine Haltung, provozierend gefragt, damit trotzdem nicht genauso retro wie der aktuelle Techhouse-Floorsound?

Ich hatte mit Techno in den Neunzigern wenig am Hut. Ob meine Sachen retro sind oder nicht, ist mir relativ egal. Da ich in den Neunzigern nicht dabei war, fällt es mir auch oft schwer zu sagen, ob die Sachen alt klingen oder nicht. Sähkö z.B. steht für mich nicht für die Neunziger, sondern einfach für verdammt gute Musik.

Das macht die Nachfrage umso dringender: Was hast du in den Neunzigern so gemacht? Wie alt bist du denn?

Ich gehe auf die 30 zu. Na ja, ich bin 28. In den Neunzigern habe ich viel Aphex und Autechre und alles, was da noch so kam gehört.

Deine EPs wirken entschieden minimal. Was bedeutet Minimalismus für dich?

Ich bin nicht in der Lage, „volle“ Tracks zu machen. Ich versuche nicht zu reduzieren bzw. da steckt keine besondere Idee dahinter. Ich mache einen Track und wenn er fertig ist, stelle ich oft erst fest, wie minimal er eigentlich geworden ist.

Wie produzierst du deine Tracks?

Mein Studio ist sehr klein. Ich sitze unterm Dach mit meinem PC und einem Analogsynthie, den ich ab und an für Sounds absample. Nicht weil’s besser ist, sondern bei manchen Sounds geht es einfach schneller. Ich habe aber keine feste Arbeitsweise: Manche Tracks entstehen in ein paar Stunden, manche über Monate.

Machst du Live-Sets?

Im Moment geht es live leider noch nicht. Es gab aber schon einige Anfragen und live ist auf jeden Fall noch für die erste Hälfte des Jahres geplant.

Legst du auch auf?

Ja, ich habe gerade das erste Mal in Holland gespielt. Das war in Utrecht und ich habe ca. 45 min aufgelegt. Ich war nicht wirklich gut, na ja, war auch das erste Mal. Der Abend war nicht so toll, aber die Leute waren wirklich nett! Ich kam mir allerdings etwas deplaziert vor zwischen einem Breakcore- und einem IDM-Act.

Auch was in Deutschland geplant?

Ja, es gab schon Anfragen aus Deutschland, genauer aus Berlin…

Tiefschwarz haben „Elephant Island“ für ihren aktuellen Mix verwendet. Von welchen DJs erhältst du noch Resonanz auf deine Releases?

Ich verfolge das nicht wirklich. Ab und an tauchen meine Platten in den Listen einiger DJs auf, quer über den Globus verteilt. Als meine erste Platte erschien, gab es auf jeden Fall, auch bedingt durchs Hardwax, sehr positive Reaktionen und viel Unterstützung von Berliner DJs.

Die „Elephant Island EP“ ist in einem Jahr, das nicht arm an interessanten Releases gewesen ist, eine derjenigen Platten, an die sich viele auch noch in 2005 erinnern konnten: Einige Platzierungen in Jahresbestlisten sowie ein Platz unter den Top 20-Singles der De:bug-Leser dokumentieren das. Du scheinst mit deinen Produktionen den Nerv der Zeit zu treffen: Ist dir das wichtig? Was gibt dir das? Ist das etwas, was du bewusst anpeilst?

Oh, das mit der De:bug wusste ich noch gar nicht. Darüber freue ich mich natürlich sehr. Ich versuche die Tracks zu veröffentlichen, von denen ich denke, dass sie auch anderen gefallen. Das geschieht aber erst nachdem die Tracks im Haufen vor mir liegen. Beim Produzieren denke ich darüber nicht nach. Bei der Auswahl der Tracks verlasse ich mich auch zu 50% auf die Meinung von guten Freunden und nehme manchmal auch einen Track mit auf eine Platte, von dem andere sagen, dass er gelungen ist. Ich bin vor jeder neuen Platte sehr angespannt, und bilde mir auch oft ein, dass ich nicht mehr als 20 Stück davon verkauft kriege.

Bis jetzt gibt es noch keine Remixe von dir: Reizt dich das nicht, oder bekommst du keine Angebote?

Es gab 4 oder 5 Anfragen. Bisher hat sich da allerdings noch nichts Konkretes ergeben. Ich wurde gefragt, ob ich bei anderen Labels veröffentlichen würde. Das werde ich jedoch vorerst nicht tun. Stattdessen habe ich angeboten Remixe zu machen. Mal sehen, ob sich da mal etwas ergibt. Remixen wäre totales Neuland für mich.

Drei Namen, drei Statements, okay? Richie Hawtin, Ricardo Villalobos, Jay Haze.

Richie Hawtin: „Sickness“ war immer schon meine Lieblingsplatte von ihm…..große Musik, großer Einfluss!
Villalobos: Ich habe mir gerade einige Platten von ihm gekauft, sehr sehr schicke Sachen!!! Lange Zeit habe ich mich gegen viele dieser Minimalsachen gewehrt, da mir viele auf Dauer einfach zu sommerlich waren. Im Falle von Villalobos war das jedoch ein großer Fehler.
Jay Haze: Ich habe nur die Contexterrior 8,5. Unglaublich gute Platte. Sonst kenne ich von ihm leider nichts.

Was stört dich an sommerlicher Musik?

Oftmals sind es die Sounds, die mir nicht gefallen. Aber genau kann ich das gar nicht erklären.

Demnach machst du also eher winterliche Musik: Woher stammt denn die Kälte in deinen Tracks?

Ich glaube, das mit der Kälte definieren andere. Ich denke, das liegt am Auslassen von Melodien. Minimale Sachen wirken ja für viele ohnehin kälter, oder?

Möglicherweise gibt es noch weitere Konstanten in deiner Musik. Ich schlage dir ein paar Attribute vor: urban, konsequent, dark, innenräumlich.

Wie gesagt, ich mache einfach die Musik, die mir gefällt, aber ich interpretiere ja nicht meine eigene Musik. Wenn du die Musik für dich so interpretierst, kann ich damit gut leben und finde es auch nicht abwegig. Wenn dich die Musik an einen Urlaub auf Ibiza erinnern würde, würde ich jedoch nicht zustimmen.

Wie stehst du zum Neo-Trance-Move im Minimaltechno, mit dem z.B. Border Community oder auch Mathew Jonson gerade so populär werden?

Keine Ahnung ! Wenns den Leuten gefällt. Ich kenne da kaum Sachen… Mathew Jonson hab ich eher auf dem Zettel, weil, gewollt oder ungewollt, viele seiner Stücke was von Drexciya haben. Danke dafür an Herrn Jonson!

Demnach hörst du auch Electro? Produzierst du auch in der Richtung, also echte Breakbeat-Nummern?

Ich habe mal eine Zeitlang sehr viel Electro gehört, jetzt eher weniger. Aber ich höre so oder so sehr viele unterschiedliche Sachen, bis hin zu Alternative.

Schon drei der vier Tracks auf der „Elephant Island EP“ waren Acid-Nummern. Deine kommende EP nimmt auch in den Titeln konkret auf Acid Bezug. Wie lange gibst du dem aktuellen Boom der 303-Sounds noch?

Ich persönlich finde nicht, dass auf der ersten Platte Acid-Tracks sind. Und auch die 3 „Acd“-Tracks sind ja nicht wirkliche Acid-Tracks. für die Tracks habe ich 5 Acidsounds benutzt, daher der Name. Aber vielleicht sehe ich den Acidbegriff auch etwas zu eng.

Wie würdest du denn Acid eingrenzend definieren? Acid ist (nur), wenn…?

Eine Definition ist jetzt natürlich schwer… Phutures „Acid Tracks“ ist Acid…

Deine kommende, dritte EP ist genauso klar und stringent wie ihre Vorgänger, die Sounds, gerade in den Breaks spooky wie gehabt, aber die langen Tracks, besonders „Research“ und „Acd-Slow“ sind überraschenderweise etwas electrofunkiger, boogielastiger. Motto: Techno, how low can you go?

„Research“ ist meine Hommage an Daniel Bell. Die „Acd“-Tracks sind meiner Meinung nach total clubuntauglich… Aber das habe ich auch bei den Tracks der anderen beiden EPs gedacht.

Gehst du häufig in Clubs? Wenn ja, in welche, und tanzt du gerne?

In Düsseldorf kann man leider nicht weggehen. Was Clubs angeht, ist Düsseldorf das totale Grauen. Es gibt einige sehr schöne Läden in der Stadt, aber musikalisch ist das hier mehr oder weniger nichts für mich. Wenn ich in Berlin bin, gehe ich ab und an weg, z.B. zu den Hardwax-Parties in der Waldohreule. Wenn ich mich in Ekstase tanze sieht das folgendermaßen aus: Ich nicke mit dem Kopf.

Es scheint auf deinen Platten ein Spannungsfeld zwischen analogen und digitalen Sounds zu geben, etwa wie sich auf „Research“ erst nach einigen Minuten die Acidline in das von einem USB-Presslufthammer attackierte, verschleifte Hüpfen des Grooves schiebt. Dazu eine allgemeine Vorliebe für Störgeräusche, digitales Schleifen, Kratzen, Schaben. Hast du Begriffe dafür?

„Research“ ist 50% 808 und 50% c64. In „Research“ ist keine Acidline.

Na gut, vielleicht keine Line, aber wenigstens ihre Andeutung, selbst als Fragment noch Acid, oder wie würdest du die klappernden Sounds nennen, die nach über 5 Minuten auftauchen?

Ab der 5. Minute, also nach dem 10 sek.-Break ist das nur noch 808 und das Sample von einem Pulsar.

Wenn ich das richtig verstehe, wäre deine eingrenzende Definition von Acid also auf jeden Fall: Acid ist nur, wenn eine 303 zu hören ist?

Ja, Acidline ist für mich 303 oder jeder andere Synth, der Figuren einer 303 versucht zu imitieren. Ohne 303 wäre für mich dann doch eher Techno…

Dennoch operierst du ja nicht nur in den Titeln deiner Tracks mit aktuell angesagten Schlüsselsounds. Die wirken dort aber wie ihrem gegenwärtigen Retrokontext entzogen, in einer entschiedenen Techno-Gestik, deren Haltung so reflektiert und pointiert ist, dass ich gerne mehr erfahren würde über deine Sicht auf aktuelle Tendenzen.

Ich sehe eher eine Tendenz nach vorne, denn, so scheint es mir, Techno ist einfach nicht tot zu kriegen, die simple Idee von 4/4 erfindet sich immer wieder neu. Hier und da fließen sicherlich auch alte Ideen mit ein. Aber an und für sich geht es ja immer noch weiter, und viele Sachen sind auch noch nicht 100% ausgereizt. Manchmal geht die Zeit auch schneller als einem lieb ist. Einige springen von Zügen ab, die gerade mal die halbe Strecke zurückgelegt haben. Wenn dann einige im Zug sitzen bleiben, sind diese Leute für mich nicht retro, sondern sie fahren einfach noch ein Stück die Strecke weiter und genießen die Aussicht.

Wann erscheint die „Research EP“, und was ist sonst noch so geplant in 2005?

Sie soll im März erscheinen. Es wird 2005 noch 2 EPs geben. Im Moment denke ich über eine Serie mit limitierten Platten nach, bei der Tracks erscheinen, die normalerweise nicht zum Label passen. Aber 2005 wird das wohl nicht mehr passieren. Vielleicht interessiert sich 2006 auch keiner mehr für Sleeparchive, dann hat sich das eh erledigt.

Kann ich mir nicht vorstellen.

Na ja, mal abwarten. Tracks habe ich auf jeden Fall noch genug, und Ideen auch.

 

 

Magnetische Polexpedition
Von Harry Schmidt