Das erste Mal Kolumbien. Darüber kann man doch mal schreiben, oder nicht? Gut. Südamerika stand ja schon das ein oder andere Mal auf meinem Tourplan, Kolumbien gehörte bisher wie erwähnt nicht dazu, aber irgendwann ist immer das Erste mal, und was ich so nach zwei Tagen Medellin sagen kann: Business as usual.
Klar denkt jetzt jeder Sommerskifahrer unter Euch bei Medellin erst mal an Pablo Escobar. Jede Menge Koks, Drogenkrieg und so weiter. Wenn man dann mal vor Ort ist, fällt einem auf, daß die Stadt eigentlich nicht so unterschiedlich ist im Vergleich zu anderen südamerikanischen Großstädten. Mit Ausnahme von Exemplaren wie Sao Paulo, Rio de Janeiro oder auch Buenos Aires hat man in solchen Städten immer irgendwie den Eindruck daß sie ja eigentlich gar nicht so groß sein können wenn man durch die Straßen fährt, aber zack.. 2,3 Millionen Menschen leben in Medellin, das eigentlich ein Tal ist mit einem Fluß dazu und vor allem viel Grün in der „Stadt der Blumen“. Keine Ahnung woran das liegt oder ob ich da eine verzerrte Wahrnehmung habe.
Anlaß meines Besuchs waren allerdings nicht das Sommerskifahren und auch nicht Orchideen-Sightseeing, sondern das Freedom Festival im Plaza Mayor, was so eine Art Stadt-, Kongress-, Sonstwashalle ist mit ordentlich Platz zum Zappeln. Und in einer Stadt mit 2,3 Mio. Einwohnern kann man ja mal ein Festival machen und die Leute zappeln lassen dachte sich wohl auch der Veranstalter, und so buchte er ein munteres, irgendwie auch erfrischendes Lineup zusammen. Das sage ich jetzt nicht weil ich selbst darunter zu finden war, aber sind wir mal ehrlich: 90% aller Festivals buchen doch zu 90% immer die gleichen Acts und 90% der Besucher finden das (leider) geil oder aber geben sich damit zumindest zufrieden. Wer weiß das schon so genau und wer kennt schon den Unterschied. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier, „Business as usual“ (schon wieder), „was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“, „never change a winning team“… man könnte die Liste mit Floskeln jetzt noch fortsetzen.
Fest steht, daß sich kein Veranstalter von diesen 90% dann aber beschweren sollte, daß die Gagen mancher Acts ins fast Unermessliche steigen, denn es gilt der Grundsatz daß man die Suppe, die man sich selbst eingebrockt hat, auch auslöffeln muß. Erst jahrelang die Besucher „konditionieren“ auf ein immer gleiches Lineup, und dann jammern, daß sie sofort maulen wenn mal nicht Hinz & Kunz auf dem Flyer steht weil man sich für ein und dieselbe Party nur noch die Gage von Hinz, aber nicht mehr von Kunz leisten kann. So, damit hätten wir den für meine Tourtagebücher mittlerweile schon obligatorischen Exkurs auch wieder erledigt.
Also, erfrischendes Lineup war das Stichwort, dann geben wir dem Kind mal ein paar Namen ohne besondere Reihenfolge: Matthew Dear, Cari Lekebusch, Guido Schneider, Technasia, Psyk, Fabrizio Maurizi, Tini (mann wird die sauer wenn sie diese Schreibweise sieht…), Martin Buttrich, Alessio Mereu, Todd Terry, Stacey Pullen, Alan Fitzpatrick, Marc Houle (zu dem später noch mehr…) und wen ich sonst noch alles vergessen habe (mich eingeschlossen). Ist doch schon mal was anderes, vor allem in dieser Zusammenstellung, findste nicht?
Und weil die Südamerikaner ja schon gerne und lange feiern ging`s schon um 12 Uhr los. Nein, nicht Open air, Halle, drinnen, Du hast schon richtig gelesen! Ich kam am Freitagabend in Medellin an, der wochenlang geplante Gig in Cali war irgendwie aus dem Kalender verschwunden. Wer ihn gefunden hat kann ihn mir ja schicken. Na ja, ist ja nicht das erste Mal daß ich für einen Gig um die halbe Welt fliege. Zwar schade, im Zweifel bin ich zwar immer für die Angeklagte, und das ist ja so oft die Party wenn man mal an die Kopfschmerzen oder das sich nicht erinnern können denkt, aber so ein relativ entspanntes Wochenende mit viel „Freizeit“ ist ja auch mal nett.
Am Samstag dann die „Anklageerhebung“, die ja schon wie erwähnt um 12 Uhr beginnen sollte, und meine Spielzeit um 18:30 mit Alan Fitzpatrick direkt nach mir um 20 Uhr war dann doch etwas ungewöhnlich, aber meine Zweifel sollten schnell zerstreut werden denn Fabrizio Maurizi vor mir, aber auch schon Tini (nochmal sorry) machten ein echt guten Job so daß es mit Einbruch der Dunkelheit und Beginn meines Sets schon recht voll war in der Halle. Die Monitore mit viel zu krassen Höhen brachten zwar meine Ohren fast um, und wie immer dachte ich es gibt zu wenig Bass für die Tanzfläche, aber dem war wohl nicht so wenn man die grinsenden, zuckenden und zappelnden Kolumbianer so beobachtete. So weit so gut. Nach meinem Set noch bisl Afterparty absolviert und dann brav, so wie es sich für einen Burschen in meinem Alter gehört, ins Bett. Und das sollte gut so sein. Es folgt ein krasser Sprung – gedanklich als auch stimmungsmäßig.
Denn am Sonntag wurde ich prompt daran erinnert, daß ich mich in Südamerika befand. Ich kann mich noch genau erinnern als ich vor fast 10 Jahren das erste Mal in Brasilien war. „Ola Alex, we pick you up at 10, ok, then go to Dinner, rrrreally goood Churrascaria, ok? Beleza!“. Um 11 keiner da, um 12 dann ein Anruf „Ey Alex, 10 Minutes we are at Hotel, ok?“, und um 1 Uhr dann direkt in den Club weil keine Zeit mehr für „goood Churrascaria“. Nun gut.
Die südamerikanischen Organisationstalente und vor allem das Zeitgefühl können einen eingefleischten Europäer, noch dazu Deutschen, so richtig Nerven kosten. Gut wenn man das alles schon mal mitgemacht hat, denn natürlich war am Sonntag kein Veranstalter mehr erreichbar, keine Artistbetreuerin, kein Fahrer, einfach niemand. Außer dem Typ an der Reze und, da taucht er wieder auf, Marc Houle, den ich so gegen 14:30 zufällig an der Rezeption traf weil ich in meinem Zimmer schlechten Empfang hatte, und nicht sicher war ob das der Grund war daß ich den Veranstalter nicht erreichen konnte.
Der wiederum war gerade dabei zum Flughafen aufzubrechen. Instinktiv stellte ich ihm die Frage ob er denn, und wenn ja wann, den Veranstalter erreicht habe. Klare Antwort: nein. „Gut, kannste schnell zwei Minuten warten, ich komm mit zum Flughafen…“ „Ja, logo, kein Problem!“. 10 Minuten später saßen wir im Taxi und philosophierten über dieses „regionale Phänomen“. Was soll man auch sonst tun. Man lernt dazu, und es war irgendwie vollkommen klar, daß keiner zwischen 15 und 16 Uhr beim Hotel sein würde der mich zum Flughafen bringt (wie eigentlich vereinbart), es war klar, daß der Rückflug nicht mit genügend Umsteigezeit in Bogota, so wie gefordert, gebucht wurde, wobei mir da die südamerikanische Mentalität zu Gute kam, und es dort dann auch mal kein Problem ist einfach 4 Stunden früher zu fliegen wenn noch ein Platz frei ist.
Fast-Zitat: „Umbuchen? Was meinen Sie damit? Egal, sie fliegen einfach früher…“. Es war irgendwie nur eines klar: daß es mal wieder eine richtig gute Party mit einer richtig guten Crowd geworden ist. Schließlich sind wir in Südamerika, und da komme ich gerne noch mal auf die vorhin schon zitierten Sprichwörter, denn eines trifft auf die Südamerikaner definitiv nicht zu: „wer feiern kann, der kann auch arbeiten“.