Robyn. Audiobericht aus der Konichiwa Records-Zentrale.

2008.0920 Robyn“Es lässt sich nicht stoppen. Es gibt kein Entkommen. Auch Abschalten ist keine Option. Darf ich Sie, sehr geehrte Dame oder Herr, also höflichst darum bitten, VERFICKT NOCH MAL aufzudrehen.
Ich präsentiere: die Königin der Bienenköniginnen, Phönix aus der Asche. Tetris-Weltrekordhalterin mit zwei Gazillionen Punkten, zweifache Nobelpreisträgerin für schärfste Frau aller Zeiten und Krisenberaterin der Cosa Nostra.“

Sie ist die Gründerin und CEO von Konichiwa Records. Die höchstdekorierte Praxisexpertin und ungeschlagen seit Kindergartenzeiten, als sie noch kleine Schuljungs vom Platz fegte.
In Zeiten, die von Spannung, Druck und Schmerz geprägt sind, ist sie für ihre Weisheit und Leidenschaft bekannt. Und für ihre unbarmherzige Entschlossenheit, wenn es darum geht, ihre Gage einzufordern.“

Audiobericht aus der Konichiwa Records-Zentrale

Gestatten: Robyn, schärfster Popstar des Planeten. Eine zierliche, elektrisierende Atombombe und spendable Weisheitenschleuder modernistischer 3-Minuten-Popexkurse zur aktuellen Lage der Fast-Erwachsenen.

Gleichzeitig ist ‘Robyn’ auch ein Destillat ultrapräziser Popmomente – und damit eines der wenigen echten, klassischen Pop-Alben. Ein traurig blickender, ultraharter Nonstophagel atomarer Popsounds. Und damit ihre beste Waffe.

Robyns Einstieg in die britische Poplandschaft? Ein winziger Low-Key-Auftritt im November 2006, bei einem der Notting Hiller YoYo-Events aus Mark Ronsons erweitertem Dunstkreis. Obwohl der urbane Hipsterclub schon als Chart-Sprungbrett für mehrere junge Hoffnungsträger, von Santogold bis Lily Allen, herhalten durfte, wäre es für Mainstreamikonen wie Britney Spears oder Christina Aguilera schlicht undenkbar, ihr neues Album in einem derart unspektakulären Venue vorzustellen – ganz ohne Tänzer, Visuals oder sonstige Extras, nur Robyn, ein Begleitmusiker, der zwischen Gitarre und Schlagzeug hin- und herspringt, und endlos viel Mumm. Trotzdem hat Robyns Lebenslauf mehr Parallelen mit diesen Starlets als klassischen YoYo-Koryphäen wie Plastic Little.

Schon mit süßen 16 wurde sie in ihrer schwedischen Heimat als Star gehandelt und avancierte in Max Martins transkontinentaler Girlgang, von Avril Lavigne und Pink bis Britney und Kelis, schnell zum heimlichen Liebling. Die Erfolge ihrer süß-souligen Single ‚Show Me Love‘ (1997) und des charmant großkotzigen, hymnischen ‚Keep This Fire Burning‘ spülten Robyn in die internationalen Hitlisten und machten sie zum größten schwedischen Popstar der 1990er.

Auf der Bühne in Notting Hill entfesselt die winzige Blondine hüftschwingende Fuck-You-Coolness – mit dem einzigartigen Selbstbewusstsein einer Diva, die sich auf Stadienbühnen ebenso zuhause fühlt. Ihre Musik: bewegungsintensiv, niedlich, aber ohne überflüssige Schnörkel – die arschkickende Reduktion der Popsongformel auf ein perkussives Schütteln.

Im Laufe der kommenden Monate werden diese Auftritte in der britischen Hauptstadt zur willkommenen Routine. Oft ganz ohne Ankündigung, nur über Mundpropaganda verbreitet, werden ihre Shows mit jeder Wiederholung subtil verfeinert, bis sich Robyn bei einem triumphalen Auftritt im Cargo schließlich mit zwei Schlagzeugern und einem Keyboarder auf der Bühne wiederfindet, wo sie, eingewickelt in eine goldene Daunenjacke, und heldenhaft herumhüpft und zwischendurch Extrapercussion und einer überdimensionalen Laserkanone bedient. Live ist ihr Sound fast zum Post-Punk-Pop mutiert, als hätte Robyns heiß geliebte Neneh Cherry Rip, Rig & Panic mit dem Pop von ‚Buffalo Stance‘ aufgemischt.

Vor jedem ihrer Stilwechsel wird das Publikum mit mehreren Veröffentlichungen weich gekocht. Im eklektischen Stilmix der ‚Rakamonie EP‘ trifft ihre Version der übertakteten ‚Cobrastyle‘-Hymne (ursprünglich bekannt durch das Teddybears-Projekt ihres Mitverschwörers Klas Åhlund) auf den Vorzeigetrack ‚Konichiwa Bitches‘.

Gepixelte Hip-Hop-Beats im Clinch mit einer Manga-Missy-Elliott. Ihre Inspiration? Bugs Bunnys Showdown mit Yosemite Sam – und seine riesigen Angeber-ACME-Boxhandschuhen. Oder, wie Robyn selbst sagt, „konzentrierte Attitüde. Wie eine Mini-Ninja! Total gefährlich, aber auch extrem klein und niedlich! Wie ein Kind mit einem riesigen Maschinengewehr.”

‚Hey U‘, ihre gespenstische, karnevalistische Kollaboration mit Basement Jaxx, ließ im gleichen Song Melancholie und Sommersonnenschein aufblitzen, aber letztendlich war es ein absoluter Querschläger und Last-Minute-Schuss aus der Hüfte, kurz vor dem Albumrelease, der Robyn in unseren Herzen katapultierte. Damals hatte Live-Kumpan Kleerup wegen ein paar Vocals für einen seiner eigenen Tracks angeklopft – ‚With Every Heartbeat‘, ein opulentes Pop/Dance-Melodram mit hinreißenden Streichern und schwindelerregenden Techno-Arpeggios, die sich wie eine DNS-Helix oder aufgescheuchte Schmetterlinge in unsere Eingeweide schrauben. Hier greift Robyn auf die simpelsten Emotionsbausteine zurück und schmiegt sie über Kleerups Synthies und Streicher.

Inspiriert von Kleerups jüngster Trennung und einem herzzerreißend schönen Abschiedsbrief flatterte ‚With Every Heartbeat‘ so durch die Top 40 und hielt sich hartnäckig auf Nummer 1 der britischen Charts.

Nicht weniger intensiv: Åhlunds ‘Be Mine!’, die Geschichte einer unerwiderten Liebe, die Robyn mit all ihrer unerfüllten Sehnsucht füllt. Und das Ergebnis ist einfach nur: schön. Jedes einzelne Wort – “It’s a good thing tears never show in the pouring rain/As if a good thing ever can make up for all the pain” – klingt, als hätte sie es in schwitzenden Händen zerknittert und fest an ihre Brust gedrückt.

Im Mittelteil fällt der ‘Song’ einfach weg und macht Platz für ein Spoken-Word-Polaroid, das direkt am Herz knabbert: „I saw you at the station. You had your arm around whatsername. She had on that scarf I gave you, and you got down to tie her laces. You looked happy – and that’s great. I just miss you, that’s all.“

“Ich wollte mich wieder wie 15 oder 16 fühlen, als die großen Gefühle noch RICHTIG GROSS waren. Wenn man verliebt war, war man VERLIEBT! und Herzschmerz war HERZSCHMERZ! Das ist es, was Leute von der Musik erwarten“, erklärt Robyn. „Ich tue es auf jeden Fall.“

Durch die zurückgenommene Produktion wird die simple Schlichtheit von ‘Be Mine!’ noch brutaler unterstrichen. Es bleibt nichts außer Robyns Stimme, einschneidenden Streichern, die atmen und seufzen, und dem rasenden, flatternden Puls eines Drumcomputers.

Abgerundet durch zwei weitere Chartstürmer – das gradlinige, soullastige Komm-damit-klar-Statement ‚Handle Me‘ und ‚Who’s That Girl‘, eine atemberaubende Avant-Pop-Kollaboration mit den schwedischen Elektro-Kunst-Terroristen von The Knife – lässt das Album die gesamte Popkonkurrenz von 2007 weit hinter sich und beweist, dass Popmusik dieses Jahrtausends herzzerreißend süß und gleichzeitig hart, reduziert und experimentell sein kann.

Angesichts einer Musikbranche, die noch immer an klassischen Fließbandmustern festhält, war das Album ursprünglich als selbst veröffentlichte Absichtserklärung und Zeichen der Individualität geplant. Mittlerweile setzt Robyn auf die internationale Unterstützung von Island (Großbritannien) und Interscope (USA), um das Album und ihr eigenes Konichiwa Records-Label weltweit bekannt zu machen.

“Sie sind so groß und mächtig”, grinst Robyn. „Aber sie kennen sich mit Sachen aus, von denen wir keine Ahnung haben, und sie haben sehr viel Geld zur Verfügung. Andererseits muss man sie auch in Schach halten. Genau das ist die Aufgabe von Konichiwa.“

Momentan ist Robyn dabei, die USA zu erobern, nicht zuletzt dank eines populären Duetts mit ihrem Held Snoop Dogg („er fand’s bescheuert!“ kichert sie) und der überraschenden Neuauflage einer Demospur, die sie vor zwei Jahren mit Åhlund für Britney’s ‚Piece Of Me‘-Single aufgenommen hatte. „Damals war es eigentlich nur ein Gefallen für einen Freund, und dann haben sie die Gesangsspur einfach drauf gelassen … ich hab erst davon erfahren, als eine Art Backing-Vocals-Honorar auf meinem Konto landete, etwa 70 Euro oder so.“ Außerdem stehen noch ein paar Konzerte in England auf dem Plan, bevor sie sich an den Nachfolger von ‚Robyn‘ macht. Auch hier wird Åhlund wieder am Mischpult sitzen, und weitere Kollaborationen mit Langzeitkollege Kleerup sind geplant. Das voraussichtliche Ergebnis? Ein Album, dass die schonungslos offene Future-Pop-Kriegerin mit dem sprudelnden Radiosoul ihrer Megastarjugend in Einklang bringt.

“Ich kann immer noch nicht glauben”, so Robyn, “ wie gut das Album angenommen wurde. Ich musste keine Kompromisse machen und hatte das Gefühl, dass alles möglich war.“

Im Gegenzug ist Robyn für ihre britischen Popfans im Laufe des letzten Jahres eine Art Ikone geworden. Kein anderer Popstar ist so zugänglich und fühlt sich seinen Fans so verbunden. Es kommt einem fast so vor, als wäre sie eine Erfindung, zusammengestückelt aus all den seltsamen Popfetzen, die in unseren Köpfen kleben, verfremdet und verstärkt durch die Erinnerung. Sie ist uns nah – denn in ihrem Pop steckt ein großes Stück unserer eigenen Identität.

Ein gutes Gefühl – fast so, als hätte es einer von uns geschafft, als hätten zur Abwechslung mal die Guten gewonnen.

Text: David McNamee
PARTYSAN // 20.09.200