Interview Lützenkirchen

Lützenkirchen: Die Rock’n’Roll-Techno-Stadt Nummer 1

Tobias Lützenkirchen, vielen sicher bekannt mit seinem Track „ 3 Tage wach“, ist DJ und Produzent aus München.

Doch schon zuvor reiste er durch die Clubs der Welt unter seinen Pseudonymen wie LXR, LK-Pro, Elektroluxx, Bully Boys, L.Y.T.Z. und Electronauts. Zusammen mit DJ Tomcraft bildet er das Projekt LützenCraft. Zusammen mit Systematic Labelchef Marc Romboy gründetet er das Label Tabula Raza. Kein unbeschriebenes Blatt wie man sieht. Nach zuletzt vielen Auftritten in Japan, Brasilien und Europa ist der deutsche Musikproduzent nun wieder zurück.

Du bist gerade zurück von deiner Tour. Du warst auch in Finnland, nicht gerade ein Techno-Mekka. Beschreib uns deine Eindrücke vom hohen Norden?

Im Endeffekt war ich sehr beeindruckt von Finnland, besonders von Helsinki, da man normalerweise immer denkt (oder hört), dass die Leute da oben eher depressiv gepolt sind. Das stimmt aber überhaupt nicht. Zumindest in den Städten nicht. Sehr freundlich und ungeheuer High-Tech. Man kann zum Beispiel in Finnland Eintrittskarten fürs Kino oder U-Bahn Tickets mit dem Handy kaufen und hat auch die Karten als Scan auf dem Handy. Alles nur noch papierlos. Und feiern können die auch, inklusive Afterhours.

Tobias, Mitte der 90er hast du deinen ersten richtigen Techno-Event in Krefeld besucht. Was hat sich in deinem Augen maßgeblich seit dem verändert?

Schwere Frage. Eigentlich finde ich, es hat sich gar nichts geändert und das meine ich im positiven Sinne. Es wird immer noch genauso gefeiert und ausgegangen und sonst was gemacht wie damals. Die Musik hat sich verändert, die Mode auch, aber meiner Meinung die Leute nicht. Ich (oder wir alle) sind nur mittlerweile älter geworden und halt fast eine Generation weiter.

Seit wann bist du professioneller Musiker, der durch die Welt reist?

Zwei unterschiedliche Sachen. Professioneller Musiker seit 1999. Im klassischen Soundengineering-Umfeld. Allerdings Autodidakt. Nie Tontechnik studiert oder so was. Auflegetechnisch seit Anfang 2006 bis Anfang 2008. Seit Anfang 2008 mach ich nur noch Liveperformances mit nem Haufen Midicontroller und Ableton Live, spiel’ auch nur noch eigene Sachen und spezielle Edits oder Tracks, die nur für Live gedacht sind und auch nicht released werden. Hält’s interessanter.

Wie siehst du die derzeitige Situation der Musikindustrie in Hinsicht auf den überschwemmten mp3-Markt?

Ich bin der Meinung, dass es einfach schwerer ist für Newcomer aufzufallen oder sich durchzusetzen. Auf der anderen Seite ist es für etablierte Künstler einfacher, sich weiter zu etablieren, da bei den 10.000.000 Neuerscheinungen und 1-Mann-Digital-Labels keiner mehr durchblickt und sich viele Leute auf die Künstler beschränken, die sie kennen. Mehr „Stamm-Konsumenten“ halt.

LÜTZENKIRCHEN PANDORA ELECTRONICADu bist eher der Szene- und Clubgänger. Gibt es einen Auftritt, den du absolut verneinen würdest?

Nicht nur einen. Alles an Großraumdissen haben wir (ich & GreatStuff) von Anfang an abgelehnt – egal wie viel Geld die auf den Tisch legen wollten. Vor allem ab dem 3-Tage-Wach-Hype ging’s da halt richtig ab und wir haben teilweise schon laut gelacht, wer da alles so angefragt hat. Aber ich bleibe mir und der Szene (die mir teilweise eh einiges krumm genommen hat) letztendlich doch treu und mittlerweile habe ich auch wieder genügend Rückenwind von der Basis.

Was hältst du davon, dass sich Teenies oder The Dome-Anhänger mit deinem Sound identifizieren?

Finde ich okay, wenn ich die angefixt hab. Das werden dann hoffentlich die professionellen Clubber von morgen und nicht irgendwelche Hiphop-Junks. Im Endeffekt war der positivste Aspekt an der 3TWach überhaupt, das ich ungemein mein Hörer-Forum erweitern konnte auf Leute, die mich vorher nicht kannten und nur durch 3TW auf mich aufmerksam geworden sind, aber dann doch auch (oder mehr noch) meinen eigentlichen Sound fetter finden.

Ich selbst habe „Drei Tage wach“ zum ersten Mal auf unserem letzten RaveOnSnow 2007 in Saalbach gehört. Am dritten Tag wurde dieses Stück gespielt und, als könnte es nicht passender sein, auch gefeiert. Seitdem war diese Erfolgsstory nicht mehr zu bremsen. Was hat sich seitdem bei dir verändert?

Viel und nichts. Der Bekanntheitsgrad hat sich in deutschsprachigen Ländern extremst erweitert. Teilweise schon in fast peinliche Pseudo-Popstar-Höhen. Im Ausland, wo immer noch der Großteil meiner Platten laufen und ich auch nach wie vor sehr viel spiele, ist der Level stetig gestiegen und demnach nicht so gehyped wie in Deutschland. Da ich mich aber nach wie vor in den Clubs bewege, wo ich vor 3TW auch schon gespielt hab, hat sich da nix geändert. 3TW war allerdings meine Eintrittskarte in die großen Festivals wie Nature One, SMS, Melt oder Frequency. Gott sei dank hab ich die nach soviel positivem Feedback von den jeweiligen Veranstaltern und den Clubbern auf den Events wohl ziemlich gut gemeistert, trotz der hohen (und teils auch zwiespältigen) Erwartungen.

Hast du musikalische Vorbilder an denen du Dich orientierst?

Mittlerweile eigentlich nicht mehr so richtig. Ich orientiere mich inspirationsmäßig eher an völlig anderen Musikern von früher wie Jean Michelle Jarre oder Andre Cymonde. Da zieh ich im Moment mehr raus als von den ultraflachen Klickklack-Produktionen selbst von den „Großen“ der derzeitigen Szene. Aber direkte Vorbilder gibt’s da nicht mehr.

LÜTZENKIRCHEN PANDORA ELECTRONICAErzähl uns etwas über dein Label Platform B. Ist es wichtig eine Plattform zu haben, um eigene musikalische Vorlieben von dir und anderen Künstler besser zu integrieren?

Bei Platform B ging’s und geht es nur um andere Künstler. Definitiv nicht um mich. Ich release nur auf Platform B wegen des Promoeffekts meines Namens und weil ich halt Labelchef bin. Platform B ist und war immer schon eine Newcomer-Plattform, gegründet vor anderthalb Jahren (im übrigen auch auf der RaveOnSnow), in erster Linie für meine Freunde, die lustigerweise auch alle mit Clubmusik zu tun haben und die Labelpolitik ist bis heute die, dass ich nur Tracks von Leuten release, die ich persönlich kenne und mag. Kein sogenanntes Track-Business. Nur persönlicher Faktor zählt.

Am 22. Oktober erscheint auf Platform B eurer Release 008. Wie ist die Zusammenarbeit mit Johan Afterglow entstanden?

Ich habe ihn in Stockholm kennengelernt und wir waren direkt beim ersten Treffen ungefähr 30 Stunden am Stück zusammen. Man kann sich also vorstellen, was da so abging und wo wir so gelandet sind. Seit dem sind wir befreundet. Was halt außerdem sehr cool ist, dass er einen oldschool techno background hat, der sehr weit zurückreicht. Er hat auch viel mit „The Horrorist“ in New York gejammed. Ist allerdings schon n bissl was her.

Nimmst du dir die Zeit um Demos neuer Künstler anzuhören, oder erledigt dies euer Management?

Ich hör mir schon Demos an und gebe die dann gegebenenfalls weiter, allerdings wie schon gesagt, Platform B ist da nix mit Demos. Nur von Leuten die ich persönlich kenne. Aber ich leite auch gerne mal was weiter, wenn ich was cool finde und wüsste, welchem Label das gefallen würde.

Wie gestaltet sich dein normaler Tagesablauf? Wie viel Zeit verbringst du davon im Studio?

Mein Tagesablauf ist ganz unterschiedlich. Das Schöne an meinem Leben ist, das ich machen kann was ich will und wann ich es will. Generell stehe ich zwischen 10.00 und 12.00 Uhr auf, dann wird locker gefrühstückt und dann halt ab ins Studio. Da bleib ich bis mindestens 21, 22 Uhr. Manchmal kommt’s auch vor, (meistens aber nur dann, wenn ich z.B. mit Tomcraft produziere oder vor kurzem auch mit Karotte), dass ich/wir dann erst morgens aus’m Studio rausfallen. Manchmal produziere ich aber auch zuhause, weil ich im Moment halt sehr wenig daheim bin. Deshalb hab ich mittlerweile auch ein kleines Projektstudio bei mir in einem Extrazimmer.

Mit welchem Equipment arbeitest du hauptsächlich bei deinen Produktionen, hast du bestimmte Vorlieben?

Die Frage hör ich sehr oft. Ich liebe die Entscheidungsfreiheit zwischen Hard- und Software. Was ich bevorzuge kann ich nicht sagen. Allerdings nehme ich sehr sehr selten Hardware Synths. Wenn’s aber um Drumcomputer oder Stepsequenzer geht, dann doch mehr Hardware. Genauso wie bei Dynamics und Effekten. Softwaremäßig habe ich, denk ich, über 90 % meiner Produktionen mit Logic gemacht und benutze auch überwiegend die internen Logic Plugins. Die restlichen 8% mit Ableton Live und ein zwei Mal mit Digital Performer. Wie gesagt, ich mag ganz gerne mal Ausflüge in ungewohnte Gefilde, um nicht in einen Produktions-Alltags-Trott zu fallen und um mein Gehirn fit zu halten. Man lernt halt gerne, und auch nie aus.

Gibt es einen Song, der dich absolut berührt hat?

Ja, „With Or Without You“ von U2. Schon Jahre her. Den kann ich heute noch kaum anhören. Hat was mit Teenie-Liebe zu tun.:;)

Was sind deine nächsten Projekte?

Definitiv Platform B und die nächste Experience Single (Australian Experience EP) Außerdem kommt im Oktober mein nächstes Great Stuff release.

Außerdem (höchst interessanterweise) habe ich mal wieder eine wirkliche Produktion gefahren. Die war für das Modelabel New Yorker, für deren neue europaweite Kino- und Fernsehkampagne. Dazu gibt’s noch einen neuen Act (aus Frankreich, Electronique) und ne Platte kommt auch. Ich habe die Musik geschrieben, den Act produziert und mit Tai Jason zusammen die Vocals geschrieben. Hat zwar nicht wirklich was mit mir und meinem Sound zu tun, aber von reiner Producerseite ist das schon sehr geil. Wird ne ganz fette Sache denk ich.

Außerdem werde ich mit Tomcraft zum Jahreswechsel hin die 5 Years of Great Stuff Compilation mixen. Aber wir haben uns wieder was Neues einfallen lassen, wird keine klassische In-The-Mix-Compilation… Lasst Euch mal überraschen. Wer noch die alten BCM-Mash-Up Mixes kennt, kann vielleicht erahnen um was es geht…

Was machst du um dich von den Strapazen des Nachtlebens fit zu halten?

Afterhour. Nee Quatsch. Aber meistens einfach nur pennen oder rumhängen bei Freunden. (Oder bei Weibern… nee, auch Quark…)

Was zeichnet gute Musik in deinen Augen aus?

Egal bei welchem Stil: Definitiv Hingabe aus dem Herzen heraus und ein klanglich hohes Niveau.

Ende Oktober, Anfang November wirst du in der Hauptstadt zu Gast sein. Was ist in deinen Augen das besondere an Berlin – verbindet dich etwas mit der Stadt?

Ist halt die Rock’n’Roll-Techno-Stadt Nummer 1. Damit ist alles gesagt, denk ich.

next Releases:
Platform B die #008 – Release 22.10.
Lützenkirchen – All that Jazz (inkl. Popof Rmxs) Oktober 08

zu Gast in Berlin/Umland:
30.10. Waschhaus – Potsdam
31.10. Watergate – Berlin
08.11. Tresor – Berlin

Photos by Armin Smailovic /Ostkreuz