„Und das Schöne am Feiern ist, dass Zeit irgendwann eine ganz andere Rolle spielt. Also du verlierst die Zeit eigentlich , die Zeit die ist so ein Raum, der sich so dehnt irgendwie, die verschwindet…“ (Inga)
Feiern – der Film zeigt in 19 Gesprächen, 56 Nächten und 14 Tracks viele von uns: Menschen deren Nächte manchmal 72 Stunden dauern.
Berlin ist ein Sehnsuchtsort all derer, die es ernsthaft wissen wollen. zeigt sie dabei, verschwitzt, verstört und überglücklich. FEIERN lässt die Menschen erzählen, die ihr Leben der Musik, den Clubs und einige auch den Drogen widmen. Gespräch für Gespräch wird FEIERN zum Familienporträt, zur melancholischen Hommage an eine Subkultur.
PARTYSAN Berlin hat mit der Regisseurin Maja Classen gesprochen: Über den Film, das Feiern und das „nicht mehr aufhören können“. Maja Classen studiert an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) „Konrad Wolf“ in Potsdam Babelsberg Regie.
Maja, wie waren denn die Reaktionen auf FEIERN?
Eine Reaktion, die mich besonders gefreut hat, war die von meinem Vater. Der setzt Techno-Musik eigentlich mit Krach gleich. Findet der ganz schrecklich. Ich wollte dann wissen, was ihm der so Film erzählt hat. Und er meinte, dass Jugend im weitesten Sinne, also Jugend auch bis in die 30er, ein Recht auf Radikalität hat. Das fand ich sehr schön, denn ich denke, jeder hat das und hier gibt es eine Szene, in der man das ausleben kann.
Findest Du, in der Feierszene wird Radikalität ausgelebt? Man könnte doch auch sagen, dort suchen viele gerade das Gegenteil, vor allem Harmonie und gerade nicht die Konfrontation des eigenen Lifestyles mit der normalen Welt, sondern die behütete Abschottung davon?
Eine interessante These. Würde ich auch unterschreiben gleichzeitig. Die Bedürfnisse, die da hervortreten sind ganz menschliche, es geht um Liebe, Harmonie, Nähe, allerdings auf eine Art und Weise, die unverbindlich ist. Für acht Stunden ist die neue Bekanntschaft der beste Freund, man erzählt sich alles, wirklich alles voneinander, danach hat man aber keine Verantwortung demjenigen gegenüber. Anders als in der Familie, in der man das ganze Leben Verantwortung trägt. Hier hat man so etwas wie eine Instant-Familie, für eine ganze Nacht oder ein ganzes Wochenende und danach kann man sich wieder in seinem Alltag vergraben.
Wenn Du den Film Szenefremden gezeigt hast, hattest Du das Gefühl, dass die so annähernd verstanden haben, was beim Feiern passiert? Oder dass da vielleicht falsche Bilder entstehen?
Nein, eigentlich weiß ich eher von Leuten aus der Szene, die sich Sorgen machen, weil in dem Film auch eine Heroin-Erfahrung erzählt wird und so der Eindruck entstehen könnte, alle Raver nehmen Heroin. Dennoch glaube ich, dass man versteht: Hier geht es um eine Einzelerfahrung, es wird über Sucht gesprochen, und es ist diese Suchterfahrung, die übertragbar ist. Vor allem die Aussage: „Ich habe immer gedacht, ich hab das im Griff. Ich habe erst später gemerkt, dass ich wirklich süchtig bin. Ich fand das auch cool und habe dieses Image genossen.“ Das, finde ich, ist absolut auch auf andere Partydrogen zu übertragen.
Hast Du ein wenig die Sorge, wenn der Film gezeigt wird, könnte so manches, was jetzt nicht-öffentlich im Verborgenen existiert, dann nicht mehr möglich sein?
Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, so ein Film kann nie eigene Erfahrungen ersetzen. Das ist ein Ausschnitt, eine Momentaufnahme, und die Leute erzählen, um was es ihnen dabei geht. Das bleibt trotzdem eine geschützte Welt. Meine Eltern und meine Dozenten werden da sowieso nicht reingehen. Nein, in dem Film wird nichts verraten, kein Geheimnis, das eine geschützte Welt gefährdet glaubst Du das?
Schwierig zu sagen, weil es etwas Neues ist. Es ist jedenfalls wichtig, mehr über diese Szene zu reden, sonst bleibt es bei den gängigen negativen Klischeevorstellungen davon, zum Beispiel Aggressive Musik, Dumme und ungebildete Szenegänger, Keinerlei Nachdenklichkeit…
Das fand ich eine sehr wichtige Entdeckung, dass es da wirklich sehr intelligente Menschen gibt, die sich auch ganz bewusst für diesen Lifestyle entscheiden, die auch bewusst den Preis zahlen für das, was sie da erleben wollen. Da sind viele, die das wahrscheinlich alle mal sehr extrem gemacht haben, dann aber irgendwann ihr Level gefunden haben, auf dem das in Ordnung ist. Aber das Image in der Öffentlichkeit ist tatsächlich stehen geblieben beim Raver mit Zelthose. Und die Szene, die ich in dem Film zeige, ist ja eine andere, doch eher Underground.
Es gibt ja bei vielen Filmen den berühmten Teil 2. Angenommen, dein Film läuft gut und der Verleih drängt dich zu einer Fortsetzung. Würdest Du das machen?
Nein, so einige haben das schon angeregt: Ich solle doch mal einen Film zum Thema Afterhour machen oder Chill oder so was. Das mit der Afterhour ist aber auch so ein Bereich, eine Grenze, die ich nicht überschreiten möchte. Da gibts eine Intimsphäre, ich will die Leute nicht, wenn sie so aus dem Leim sind, abfilmen. Ich habe ja auch bewusst die Interviews mit den Leuten geführt, wenn sie nüchtern waren, bei mir zu Hause auf dem Sofa, wenn sie wirklich bewusst entscheiden konnten: Was erzähle ich jetzt und was nicht?
Was meinst Du? Geht das immer weiter, mit dem Feiern?
Ich glaube schon. Für manche geht es immer weiter, bis sie umfallen und andere hören auf, aber dann kommen neue nach. Es gibt immer wieder welche, die das neu entdecken.
Hattest Du über das Dokumentarische hinaus auch den Anspruch, durch den Film irgendetwas innerhalb der Szene zu verändern?
Nein, also das wäre ein viel zu hoher Anspruch. Ich glaube, es war wirklich hauptsächlich die Idee, so eine Momentaufnahme zu machen und einfach mit den Leuten darüber zu reden: Was bedeutet das für euch? Was bedeutet das für euer Leben? Was bedeutet das zum Beispiel für eine Beziehung, wenn man so feiert? Und da sind ja dann ganz unterschiedliche Geschichten zu Tage getreten: Welche, die permanent aneinander kleben und monogam sind und andere, für die Beziehung und Feiern auch bedeutet, eine offene Beziehung zu haben. Andere, für die es extrem schwierig ist, überhaupt eine Beziehung aufrecht zu erhalten mit diesem Feiern, wos dann ja auch mal sein kann, dass der eine überhaupt keine Lust hat und der andere alleine losgeht und es dann vielleicht schwierig ist, den anderen so loszulassen und ihm zu vertrauen. Veränderungen bewirkt der Film vielleicht für einen Moment, dann, wenn über ihn geredet wird, mehr aber auch nicht.
Danke, Maja, und viel Erfolg!
Gesprächspartner in Film waren: Ricardo Villalobos, Lucien Nicolet, Ewan Pearson, Nick Höppner, Carsten Klemann, Cora Schneider, Julie van Wart, Greta Namboutin, Thilo Schneider, André Galluzzi, José Mari Polintan, Lee Jones, Saskia Willich, Lisbeth Eckendorff, Rejne Rittel, Tim Kreutzfeldt, Jan Behrendt, Nikolas Gleber, Anett Petersen, Inga Königstadt.
Feiern – Don´t forget to go home
Geschichten von Zartheit, Exzess und Zerstörung.
DVD: 03.11.06 / Intergroove
Interview: pozor!
Interview aus PARTYSAN Februar 2007
www.feiern-film.de