Am Ende war da nur noch Lärm. Beim Highfield Festival. Ohrenbetäubend frönen die Hamburger Jungs von Tocotronic der Improvisation. Sie lassen die Musik einfach laufen, reiben ihre Instrumente an den Monitorboxen und veranstalten Chaos. Ein Chaos, bei dem man meinen könnte, es charakterisiere ihre „Kapitulation“ vor der Musik. Hätte ja schließlich gepasst. Zur neuen Platte, auf der oben genanntes Wort in grünen Lettern von em dänischen Künstler Henrik Olesen unter das „Porträt von Douglas Morgan Hall“ von Thomas Cowperthwait Eakins gepresst wurde.
Aber nichts da. „Das hat sich mit der Zeit eingeschlichen und wurde immer wichtiger“, erwidert Arne Zank, seines Zeichens Schlagzeuger und Keyboarder der Band. „Unser Set ist durch die Songs sehr festgelegt, da bringt es Spaß am Ende frei zu spielen und zu sehen was kommt.“ Kapituliert haben die Jungs auch noch nie, vor nichts und niemanden. „Aber man könnte ja!“ worauf ich sie sehr gerne gefragt hätte, wovor es sich denn eigentlich lohnen würde, zu kapitulieren. Allerdings besteht dazu in unserem kurzfristig vereinbarten E-Mail Interview keine Möglichkeit. Also weiter im Text.
Tocotronic existieren schon seit 14 Jahren. Spätestens seit dem 1999er Album „K.O.O.K.“ aber ist klar, dass man das, was diese Band tut, neu verhandeln muss. Die Deutlichkeit der frühen Alben, auf denen sich Wut und Sloganhaftigkeit vermischten, Tocotronic also „Alles was ich will, ist: nichts mit euch zu tun haben“ und „Ich verabscheue euch wegen eurer Kleinkunst zutiefst“ sangen, war nämlich gar nicht so deutlich und präzise gemeint, wie es sich in den Gehirnwindungen und auf den Shirts der Fans manifestierte.
Stattdessen kontert die Gruppe, die in den letzten Jahren Sätze schrieb, wie „Führe mich sanft, gib mir einen Trunk-Trank“ und „Ich mag den Weg, ich mag das Ziel, Den Exzess, das Selbstexil“ meine Frage danach, ob die zunehmende Abstraktion ihrer Sprache eine Art Selbstschutz darstelle, damit, dass es mit der Abstraktion ihrer Musik eigentlich genau umgekehrt wäre: „Eigentlich haben wir das Gefühl eher deutlicher geworden zu sein. Vieles wurde früher schief wahrgenommen“. Das muss man hinnehmen.
Die Musik von Tocotronic möchte eben zum Teil auch eine Stolperfalle sein. So verwendet die Band unter anderem die Textpassage „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ in dem neuen Stück „Aus meiner Festung“ und führt damit die Bedeutung der Worte ad absurdum, indem sie selbige auf eine gefühlsmäßige Ebene transferiert. „Solche Zeilen sollen vielleicht zum Stolpern bringen beim Zuhören und zeigen, dass alles zusammengeklaut ist“, so Arne.
Zum Stolpern bringt einen auch das Booklet der Special Edition von „Kapitulation“. In das Artwork wurde ein zu kleiner Schlitz eingestanzt, was es unmöglich macht, das Booklet hinein zu stecken. Diese Übersetzung des Plattentitels auf das Endprodukt ist bemerkenswert. War aber einem Zufall geschuldet. Der zu kleine Schlitz war lediglich ein Fehler des Presswerks. Zumindest lässt er Arne aber kurz den Glauben an göttliche Fügung ins Spiel bringen: „Es war ein Fehler, aber vielleicht auch eine Botschaft einer höheren Macht. Wir wissen ja auch nicht alles“.
Trotzdem sind Tocotronic schlau genug nicht über die Dinge zu reden von denen sie nichts wissen. Oder sie wollen einfach nur so wenig wie möglich von sich Preis geben. Der Hörer soll schließlich die Möglichkeit haben, ihr Schaffen selbst zu interpretieren. So lässt sich die Band auch keine Verhandlung des fremd gestalteten Plattencovers entlocken. Es soll sich lediglich freudiges Lachen bei der Band eingestellt haben, als Henrik Olensen ihnen den Entwurf gezeigt hat.
Ebenso verhält sich Arne bei meinen Fragen zur zunehmenden Allround-Verfügbarkeit der Musik durch das Internet. Entwertet es die Musik, weil sie plötzlich für jeden im Überfluss vorhanden ist? „Einerseits, aber andererseits … es verändert sich, und das kann man ja nicht schlecht finden.“ Hier verfluche ich erneut die Befragung über das Medium E-Mail, die kein Nachhaken erlaubt. Und so bleiben am Ende viele Fragen offen. Manche aber werden zumindest kurz und knapp beantwortet.
Also los: Frage: Bestand eigentlich die Gefahr, vor der Platte selbst kapitulieren zu müssen? Antwort: „Nein, das ging ganz gut zusammen. Die Aufnahmen waren anstrengend, aber wir waren sehr überzeugt.“ Frage: Überlegt ihr euch eigentlich vor dem Einspielen einer neuen Platte, in welche Richtung ihr als Band gehen möchtet oder riskiert ihr im Zweifelsfall auch mal euch zu wiederholen, wenn es sich gut anfühlt? Antwort: „Es wird viel überlegt, und dann macht man immer dasselbe.“ Letzte Frage: Wenn du dich für eine Lieblingstextpassage auf „Kapitulation“ entscheiden müsstest, welche wäre es? Antwort: „Kein Wille triumphiert“ und Schluss. Das ist sehr gelungen.“ Womit wir dann eigentlich schon am Ende dieses Artikels wären. Was sozusagen einer „Kapitulation“ vor dem geschrieben Wort gleich kommt, weil es noch so viel aufzudecken gäbe.
Aber vielleicht war das ja auch von Anfang an so geplant. Von der Band oder vom Autor selbst. Liegt wohl alles im Auge des Betrachters. Der sollte nämlich sehr genau hinhören, bevor die Nadel sich am Ende der Platte langsam erhebt und der Tonarm in die Halterung zurückfährt. Da heißt es: „Alles gehört dir, eine Welt aus Papier, alles explodiert, kein Wille triumphiert“. Arne hat Recht.
Wirklich gelungen. Und wirklich Schluss.
Tocotronic spielen am 25.10. einen Gig im Soundpark Ost in Würzburg und am 10.10. in der Halle02 in Heidelberg.