Es ist November 2012. In den USA stehen die Wahlen im Fokus. Paul tourt gerade durchs amerikanische Land. Ob er dort Wahlreden gehalten hat, konnten wir nicht erfahren – wohl eher nicht!
Im Zentrum seiner USA Tour steht schließlich die Musik, denn selbst dort ist Paul kein Unbekannter. Ein Mitreißendes Jahr war es bislang für Herrn Dauerbrenner, emotional überwältigend, denn jüngst ist er mit Ehefrau Simina Grigoriu unter der Haube. Sie veröffentlichte zugleich ihr erstes Album. Pauls Bruder Fritz zauberte ebenfalls sein Album auf den Markt und was macht Paul, er legt nach, mit seinem eigenen Meisterwerk: „Guten Tag“.
Guten Tag Paul! Du wohnst im Berliner Bezirk Mitte, bist aufgewachsen im Bezirk Lichtenberg. Wie war es in Lichtenberg groß zu werden?
Also in Lichtenberg aufzuwachsen, das war sehr zweigeteilt natürlich durch den Mauerfall. Davor war es eigentlich sehr behütet und weil es auch Ostberlin war, wo auch die ganzen – also alles, was es überhaupt in der DDR noch gab, wurde dort hingeschickt, damit es wenigstens da einigermaßen repräsentativ ist. Und nach dem Mauerfall gab es dann auch so Neonazis am Bahnhof Lichtenberg und aber auch so Jugendclubs, wo wir dann anfingen Technoplatten aufzulegen. Ja, das ist halt ein Bezirk, der ist schon ein bisschen weiter draußen. Also Mitte war Lichtjahre entfernt. Ich kann mich erinnern, dass wir uns bis zu einem bestimmten Alter auch selbst nach Friedrichshain abends eher nicht getraut haben. Da wurden auch schnell mal Jacken abgezogen oder gerade neue von Mutti – gerade mal das Geld erbettelt – die Sneaker abgezogen.
Berlin Calling war ein Welterfolg. Du warst nicht als Schauspieler, vielmehr als Schausteller dabei, also jemand der das spielt was er wahrlich auch im wahren Leben ist. Wer ist Paul Kalkbrenner und wer ist Ickarus aus dem Film „Berlin Calling“?
Na, ich bin ich. Obwohl wir nix dagegen unternommen haben, dass viele Leute auch gerade direkt so 2009 nach dem Film auch gar nicht wussten wer ist wer, Ickarus, Paule, wat? Der tritt einfach nur sozusagen aus der Leinwand raus – weil die Visuals waren ja noch so „Berlin Calling“ – und steht dann da und spielt dann auf einmal die Musik. Das ist so ein Jekyll Hyde Thing, wir haben es nicht forciert, aber wir haben auch nicht so versucht auf Teufel komm raus Sachen klarzustellen.
Was unterscheidet Dich als Live-Act von einem DJ?
Was man so Auflegen nennt und Live zu spielen, das verfließt heute ein bisschen wieder zusammen und ineinander geht es über, d.h. die Live Acts werden immer auch DJ-artiger und andersrum und durch die neue Software ist da eigentlich gar nicht so ein gerader Strich mehr zu ziehen. Aber es ist schon so, dass es mir sehr früh gefallen hat die eigene Musik zu spielen und als DJ sieht das ja doof aus. Spielst eine Scheibe nach der anderen von dir. Deshalb musste es anders präsentiert werden. Und das was ich heute mache – diesen Live-Act – spiele ich quasi unverändert schon seit vielen Jahren und das macht einfach mehr Spaß, den Song selber noch mal auf der Bühne live arrangieren zu können.
Also jemand der auflegt, der mischt ja quasi, rein theoretisch, also im Prinzip ja zwei Audio-Quellen – egal ob es zwei Schallplatten oder Files oder CD-Players sind – ineinander. Jemand der live spielt, so wie wir das schon immer – von Anfang an – verstanden haben – als Electronic-Act – ist jemand, der sozusagen da vielspurig – früher kam das halt: da eine Drum Machine, da ein Synthesizer, aber am Ende dann doch alles in so einen Mischer, so wie ich das heute auch noch immer mache. Und dort kann ich meine Songs auf der Bühne quasi neu arrangieren. Das macht wesentlich mehr Spaß.
Wie arrangierst Du Deine Musik auf der Bühne?
Die Arbeit ist dort auf der Bühne, ich habe meine Songs sozusagen in Einzelteile zerlegt. Ganz früher waren die acht Spuren, die aus dem Sampler kamen auch nur meine acht Spuren, die für die Produktion bereit standen. Also quasi, es waren noch mehr möglich das Studio quasi – es war immer viel Aufwand, das komplett auseinander zu bauen – und auf einer Bühne, bis auf ein paar externe Geräte, wieder zusammen zu setzen.
Und so habe ich früher meine Musik gemacht, da habe ich auf einer DAT Kassette Record gedrückt und habe sozusagen das Ding aufgenommen. Da hier den und auf Spur 7 kam der und bei 03:30 ging der Equalizer hoch und dort ein Hall. Und so spiele ich heute immer noch live. Das habe ich damals so gelernt. Wenn man sich das heute so vorstellt, das ist gar nicht mehr begreiflich. Aber nur deswegen kann ich heute so live spielen, weil ich so gelernt habe Musik zu machen. Hätte ich das mit einem Computer getan, dann würde ich heute auch stehen, nur mit dem Laptop und Controllern und würde so rumdrehen. Und vor Allem in den Monitor reinglotzen wie das Schwein ins Uhrwerk.
Ist es einsam auf der Bühne, wenn Du da alleine stehst?
Ist es einsam da oben, ist es einsam? Nee! Ist nicht einsam. Könnte man denken, wenn man ganz hinten steht, weil es ja auch ein bestimmter Abstand ist, da im Graben und zu mir. Aber ich habe da eh immer so zu tun. Ich mag es auch gar nicht, wenn da so viele da hinter tanzen. Ich habe gehört manche mögen das und es wird extra so arrangiert organisiert, dass dann auch eine bestimmte Anzahl da auch beim DJ tanzt, dahinter, davor, mag ich nicht so! Das ist ja Arbeitsplatz und Arbeitsfläche.
Du hattest gerade Dein größtes Konzert vor 21.000 Fans, wie hast Du das erlebt?
Das war so ein bisschen unwirklich, als ich auf die Bühne kam. Ich bin ja eigentlich Brillenträger, wenn es mal darum geht etwas scharf zu sehen wie im Fernsehen, die habe ich mit hoch genommen und habe es mir mal angeguckt. Ich würde sagen, so bei 21.000 ist das Ende der Fahnenstange erreicht, bevor das dann wirklich sozusagen für größere Teile des Publikums der Kontakt verloren geht. Aber jetzt noch zu meinen, es könnte ja noch größer, glaube ich nicht.
Wie erklärst Du Deinen Erfolg?
Ich glaube, das ist so erfolgreich, weil ich schon immer das Gleiche mache – konsequent – das so durchziehe. Und die meisten Leute nicht zu doof sind das zu bemerken, wer das jetzt macht und wer etwas ganz anderes und wer schon immer seins macht. Eine andere Erklärung habe ich nicht. Es kann nur das sein.
Deine musikalischen Einflüsse?
Je älter ich werde, merke ich auch wie viel so Volkslieder in mir so rumschwirren. Einfach so Musik, die man früh mitbekommen hat, dass man – oder auch bestimmte Popsongs aus dem Radio sozusagen, wo einfach, wenn der heute läuft eigentlich quasi nur etwas getriggert wird aus dem Alter, wo du das sozusagen noch nicht unterscheidest, und gar nicht unterscheiden willst. Das ist alles gleich gut. Ist halt Musik.
Wie war der Videodreh zu „Das Gezabel“?
Wir haben von dem Videoshoot für „Das Gezabel“ gar nichts mitbekommen, weil wir da einfach ganz normal unser Konzert gespielt haben, rumgesessen haben mit Freunden und Familie. Und zwei Freunde von uns, die auch Kameras dabei hatten, das quasi fotografiert haben – immer in vielen Bildern. Es besteht aus mehr also 12.000 Einzelfotos, die manchmal in 14 Layern übereinander liegen. Das sind quasi nur Fotos und da wir die auch kennen, haben wir da auch niemanden bemerkt, das war einfach ein ganz normaler Nachmittag für uns mit unserer Konzertshow und die haben es einfach fotografiert. Und dann saßen die natürlich im Schnitt. Ich glaube wochenlang haben die da 16 Stunden am Tag – mindestens – geschnitten bis es so wurde.
Die Titelliste Deines neuen Albums ist ein Zungenbrecher, lese sie uns bitte mal vor.
Also es geht los hier mit dem Intro: „Schnurbi“. Dann kommt: „Der Stabsvörnern“. „Kernspalte“ ist auch ein kurzer Interlude. Dann „Spitz-Auge“, „Globale Gehung“ „Das Gezabel“ – hatten wir schon als Single, dann „Vörnern-Anwärter“, „Hinrich zur See“, „Der Buhold“ – auch Monstersong, „Speiseberndchen“, „Fochleise-Kassette“, „Trümmerung“ – das ist natürlich ein doller Trick, der „Datenzwerg“, „Der Ast-Spink“, „Schwer Verbindlich“, „Des Bieres Meuse“ und natürlich „Das Gezabel De Luxe“.
Wie heißt Dein neues Album und warum?
„Guten Tag“ heißt das Album. Es ist ein internationaler Titel – er ist deutsch, aber international Verständlich. Und passt deswegen gut. Und ja, wenn das Album einen Titel haben soll, dann „Guten Tag“ – finde ich gut. Aber auf jeden Fall sollte er deutsch sein. Der Albumtitel soll ja nicht so schlimm sein, wie die Songnamen. Der Albumtitel sollte so sein, dass man ihn wenigstens aussprechen kann – selbst wenn man kein Deutsch spricht.