„Paranoia“ von Oliver Huntemann

nachgefragt… Oliver Huntemann hat Paranoia

Mit ‚Paranoia’ veröffentlicht Oliver Huntemann Anfang November seinen vierten Longplayer. Durch filigrane Detailarbeit im Soundlabor stellt er erneut seine Producer-Qualitäten unter Beweis. Ausnahmslos stehen die neuen Produktionen wieder einmal für Huntemanns Facettenreichtum und Empfinden für Klangästhetik.

Huntemann bleibt sich mit Paranoia treu, brennt sich so auf ewig in die Kleinhirnrinde seiner Fans – und geht doch mindestens einen Schritt weiter. Das Album erscheint zusammen mit einer DVD auf seinem eigenem Label Ideal und zündet auch im audiovisuellen Bereich einen nachhaltigen Intitialfunken.

Gerade ist mit ‚Paranoia’ dein viertes Album erschienen. Wie unterscheidet es sich musikalisch und inhaltlich zu den letzten Longplayern wie ‚Fieber’ oder ‚H-3’?

Meine vorherigen Alben waren mehr oder weniger komplett auf den Dancefloor zugeschnitten, meine DJ-Sets stets im Hinterkopf. Paranoia bricht diesen Ansatz und erzählt als Gesamtkonzept eine Geschichte. Natürlich basierend auf Clubtracks aber eben auch einen Schritt weiter. Dadurch konnte ich mehr herumexperimentieren und es sind Sachen wie ‚In Times Of Trouble’ entstandenen, das komplett ohne Beats auskommt aber trotzdem zur Prime-Time funktioniert. Bei so einer Produktion ist der Ansatz bezüglich Dramaturgie und Arrangement ein komplett anderer als bei beatlastigen Stücken. Ich habe bei Paranoia versucht bewusst immer ein klein bisschen anders zu denken. Eine Albumproduktion ist für einen Künstler eine besondere Gelegenheit sich der Sache ganz hinzugeben. Ich musste mich nicht auf zwei Single Tracks reduzieren, sondern konnte auch anderen Seiten von mir Spielraum geben. Teilweise bis hin zu Downbeats und fast orchestralen Soundcollagen. Dass das Album dann plötzlich fertig war, hat mich fast überrascht. Es hätte ruhig noch weitergehen können. Alles war gut im Fluss. Ich hatte und habe noch eine Menge Ideen. Irgendwann muss man jedoch einen Punkt machen und sagen: Nun ist aber gut!

‚Paranoia’ erscheint als CD und DVD. Wer hat die Tracks visualisiert und wie kam es zu der Auswahl der verschiedenen Künstler?

Ich bin sehr happy, dass es zu dieser Bonus-DVD gekommen ist. Ein ganzes Album als Video-Edition, wow! Auf meinen DJ Reisen lerne ich eine Menge Menschen kennen und viele von denen sind Künstler. Heutzutage hat man in fast jedem Club Videoanimationen, die meisten lassen sogar Inhouse-Teaser oder gar Filme produzieren. Meine Freundin Xenia Beliayeva hatte schon vor längerer Zeit die Idee, ein Album komplett als Video umzusetzen. Ich habe also die Kontakte von verschiedenen Videoproduzenten und Regisseuren gesammelt und selbige dann angeschrieben. Weitere kamen dann über unser Ideal Audio Büro und über Xenia zusammen. Am Ende sind Videos von Künstlern aus aller Welt entstanden. Ich kann leider hier nicht alle nennen, das würde den Rahmen sprengen. Dreizehn Videos sind entstanden, eine wirklich tolle Sammlung.

Das Album ist wie auch deine anderen Outputs in deinem Hamburger Studio in Zusammenarbeit mit Andre Winter entstanden. Wie sehr beeinflusst das Leben in Norddeutschland deine Musik und wie verlief die Zusammenarbeit mit deinem Studiokollegen?

Mit André lief es, wie immer, sehr entspannt. Er hat ein goldenes Händchen und kitzelt das Letzte aus jedem Sound. Ich kann mir keinen Besseren vorstellen. Wir arbeiten seit fast sieben Jahren zusammen und sind ein gut eingespieltes Team. Ich liebe Norddeutschland und ganz besonders Hamburg. Hier ist man bodenständig, der Himmel zumeist grau und die See nicht weit. Hier komme ich zur Ruhe und das von vielen als miesepetrig bezeichnete Wetter lässt mich bei zumeist angenehmen Temperaturen arbeiten und produktiv sein. I love the Shietwetter! Mein Leben in Norddeutschland beeinflusst meine Musik nicht so sehr, glaube ich. Eher den Arbeitsablauf, da ich mich hier gut zum produzieren zurückziehen kann. Ich hatte schon Studiokonstellationen, in denen immer Betrieb war. Zu allem ist man gekommen, nur nicht zum Kreativ sein. Kann auch nett sein, ist aber nicht Sinn der Sache. Ich habe mir, als ich vor einigen Jahren nach Hamburg gezogen bin, gar kein eigenes Studio mehr eingerichtet. Ich bin viel als DJ unterwegs und mittlerweile leider fast ausschließlich so gezielt zum Produzieren im Studio so dass es sich nicht wirklich lohnt ein eigenes zu betreiben. Vorproduktionen kann man ja heutzutage hervorragend auch unterwegs machen. Das Studio im Laptop, ein guter Kopfhörer – perfekt!

Auf deiner Live Tour agierst du mit einem besonderem Technischen Tool. Was kann man sich unter ‚REACTABLE’ vorstellen?

Bei dem Reactable handelt es sich um eine Art Leuchttisch mit Touchscreen, der einen Synthesizer und Sample-Player enthält. Über Würfel und andere Bausteine, die entsprechend codiert sind, werden Samples und Sequenzen abgespielt, die wiederum von mir live arrangiert werden. Zusätzlich arbeite ich mit verschiedenen Effekten und Tools. Damit jeder sieht, was ich tue, wird die Oberfläche des Reactable auf Videoscreens projiziert. Ich hatte den Reactable vor einigen Jahren als Studie gesehen und fand das Gerät sehr interessant. Schon während der Albumproduktion habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich eventuell eine etwas andere Live-Performance bieten könnte. Bei einem Gig in Barcelona bin ich dann von den Entwicklern des Reactable noch einmal auf das Thema angesprochen worden. Mittlerweile sollte das Gerät in Serie gehen. Ich habe es ausprobiert und war begeistert über die intuitive Bedienung und Programmierung. Ich helfe den Jungs zudem noch dabei, den Reactable einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen und Bugs zu beseitigen.

Ich packe meinen Plattenkoffer mit? – Was ist noch übrig geblieben vom analogen Zusammenstellen der Scheiben vor einem Gig? Nach welchen Kriterien stellst du dein Sets zusammen? Und wie unterscheidet sich ein DJ Gig zu deiner Live Performance?

Obwohl ich seit einigen Jahren mit TraktorScratchPro arbeite, bin ich dank Control-Vinyl doch recht klassisch geblieben. Auch meine Vorbereitung hat sich nur bedingt geändert. Ich habe einen Main-Ordner, mit dem ich arbeite. Dort sind nur eine begrenzte Anzahl an Tracks vorhanden – eben wie früher in der Plattenkiste. Jede Woche höre ich diese noch einmal durch, füge neue Tracks ein und schmeiße ausgediente raus. Der Vorteil ist, dass ich das nun auch im Flieger oder Hotel machen kann. Außerdem bin ich mit Traktor für alle Fälle gewappnet. Sollten einmal die Plattenspieler nicht mehr mitmachen, weil sie einfach abgerockt sind oder die Bühne zu sehr vibriert, kann ich einfach an meinem X1 Controller auf internal gehen und trotzdem weiterspielen. Du kannst dir ja nicht vorstellen, was einem so alles passiert, wenn man heutzutage nach Turntables verlangt. Im Pacha in Sao Paulo kannte mein Host noch nicht mal mehr das Wort Turntable! Erst der Haustechniker hat aus dem Keller zwei verstaubte Technics hervorgekramt. So etwas passiert, da kann der technical rider noch so gut sein. Mein Live-Set ist eine ganz andere Geschichte. Zum einen spiele ich nur eigene Tracks, die ich währen der Performance mit meinem Reactable live arrangiere. Zum anderen stehe ich in einem Käfig aus LED’s, der die visuelle Show verstärkt. Das Ganze ist eine Kombination aus Sound- und Lichtdesign und hat eher Konzertcharakter als ein DJ-Set.

www.huntemann.tv // www.plantage13.com