‚Beijing Rock‘, das nunmehr siebte Solo-Album von Paul Brcic (vorher Brtschitsch), erscheint am 07. September 2012. Dabei pulsiert es förmlich vor Liebe zu Detroit-Techno, smooth gesetzten Percussions und ergreifenden Bassstrukturen.
‚Beijing Rock‘ öffnet bewusst die Tore zur Welt und ist durchströmt von Klangimpressionen und Ästhetik, ohne das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Die wahre Seele von Techno im Hinblick auf seine Authentizität. Wir trafen Paul in Berlin und unterhielten uns ein wenig über sein neues Album, seine Namensänderung und die Szene.
In Kürze erscheint Dein neues Album „Beijing Rock“, allerdings nicht unter Deinem bisher bekannten Namen „Brtschitsch“, sondern unter „Brcic“. Hast Du keine Angst vor Verwirrung?
„Brtschitsch“ ist genau genommen nichts als ein typisch deutscher Bürokratieirrtum, weil sie einst die zwei Haken über den Buchstaben C, die es für Brcic eigentlich in der slawischen Schreibweise braucht, nicht auf ihrer „nichtslawischen“ Schreibmaschine vorfanden. Ich bin mir daher gar nicht sicher, ob man überhaupt noch mehr verwirren kann, wie mit der Schreibweise dieses Namens. Die Intention die Reduktion auf die traditionelle Schreibweise zu veranlassen war somit eher dem weniger verwirren angedacht. Brcic lässt sich besser buchstabieren, ferner sind fünf Buchstaben einfacher zu merken als elf. 15 Jahre Konsonantenwahnsinn sind mir genug, ich minimiere diesen fortan.
In den insgesamt 13 Tracks auf dem Album spürt man deutlich Deine Liebe zu organischen und teils analogen Klängen. Filterst Du diesen Einfluss aus Deinen Live-Gigs, die Du ebenfalls nur mit analogem Equipment bestreitest?
Ich natürlich bin stets erfreut, wenn das wahrgenommen wird! Mit Sicherheit entstehen durch meine Arbeitsweise im Studio und dem live spielen ohne Laptop viele Elemente, die das ganze „analog“ und „organisch“ erscheinen lassen. Es gibt bei mir seit je her diesen Kreislauf: Aus den Live Gigs entstehen Alben, aus den Alben neue Ideen für die Live Gigs. Es ist eine fortlaufende Geschichte.
Der komplette Neuanfang in dieser fortlaufenden Verkettung findet eigentlich nur dann statt, wenn es zum Totalverlust von Daten oder Geräten kommt. So geschehen nach dem letzten Album “ Me, Myself & Live“. Da hatte ich mein Equipment ohne jegliches Backup in der Kölner Altstadt nach einem Gig stehen lassen. Hat das eigentlich jemand mittlerweile gefunden? Jedenfalls habe ich seit diesem Zeitpunkt an einen komplett neuen Live- Act gearbeitet, aus dem bald die ersten Titelskizzen zu „Beijing Rock“ entstanden.
Irgendwann kamen durch die Ausarbeitungen im Studio neue Elemente hinzu, manchmal entstanden auch komplett neue Titel, die dann wieder Live umgesetzt wurden. Meistens resultieren die Klänge aus den älteren Geräten, meinem analogen Studio Setup, dieser Sound spiegelt sich auch auf dem aktuellen Album wider. Mir ging es beim aktuellen Album jedoch gar nicht primär um Sound als Wirkungsmechanismus, vielmehr um die Aussage in den Titeln und die “ urban-organische“ Story die alle Titel im Zusammenspiel erzählen.
Nicht nur bei der Produktion legst Du Wert auf Detailarbeit, auch bei Deinen Pressefotos oder dem Cover-Artwork hältst Du die Fäden in der Hand. Woher nimmst Du die Energie und die Kreativität dafür?
Kreative Energien entstehen aus allen möglichen Ursachen; aus Existenzangst, aus Schlafdefiziten nach Geburten von Kindern, aus Wut, aus Hoffnungen. Ich denke wenn man „sein Ding“ aus den Umständen und Tatsachen die einen umgeben zieht, findet man irgendwo sein Weg, den man als Musiker fortan geht… auf diesem Weg entstehen Ideen und Visionen. Das ist die schöne Seite, die weniger schöne: Meistens werden deren Umsetzung oft von Geld und wirtschaftlichen Faktoren diktiert, schlimmstenfalls blockiert. Bist du Unternehmer? Musiker? Nur noch Idealist? …oder vielleicht ein Volltrottel dich im „digitalen“ Zeitalter überhaupt noch so etwas selbst verflüssigendem wie der Musik hauptberuflich hingeben zu wollen?
Das sind Gedanken, die einen 2012 durchaus umtreiben können. Umso stärker rückt dann aber auch der „jetzt erst Recht“ Gedanke in den Vordergrund, der einhergeht mit dem Willen mehr denn je sein Ding machen zu wollen. Nach Fertigstellung der Titel für „Beijing Rock“ war mir vollkommen klar, dass ich eine urbane Stimmung aufs Cover wollte, einen schwäbischer Kanaldeckel aus einer urban anmutenden Fotostrecke meiner albansässigen Mutter, kombiniert mit diesem bewusst eingesetzten digitalen Fehler auf der Rückseite, der für die Entpersonifizierung der heutigen Zeit in Zusammenhang mit elektronischer Musik all zu oft entsteht.
Dass ich mich für die aktuellen Pressefotos von der Fotografin Marie Staggatt auf einem Berliner Schrottplatz in Marzahn, getarnt als Kunststudenten unter dem Motto „Schrott im Alltag“, ablichten lassen wollte, war mir auch schon lange klar. Mein künstlerischer Anspruch ist es hierbei, sich einfach treiben und nicht zu sehr von äußerlichen Grundtendenzen beeinflussen zu lassen oder zumindest wenn, sich vorher mit ihnen inhaltlich und kritisch auseinanderzusetzen.
Auf Deinem Album lehnst du lesbar ab, auch auf Seiten wie Facebook vertreten zu sein. Stört Dich der ganze Social-Media-Hype?
Haha, jetzt mache ich mir wahrscheinlich gleich richtig Freunde, aber es „gefällt mir“ darüber zu philosophieren: Was ist an Facebook denn eigentlich so „sozial medial“? Das habe ich mich schon gefragt, als es um das „sozial“ im Zusammenhang mit „Marktwirtschaft“ ging. Ist vielleicht als „sozial“ definiert dass eine große Gruppe von Menschen dafür sorgen, dass eine kleinere Gruppe oder auch einzelne Individuen Geld in immensen Höhen anreichern?
Mark Zuckerberg ist jedenfalls so ein Bursche, dem ich auch nicht zutraue, einmal etwas Vernünftiges mit der ganzen Kohle anzurichten, daher bekommt er meine Unterstützung nicht, Punkt eins. Facebook ist für mich schon so etwas wie das Junk Food der modernen Kommunikation. Die Generation „gefällt mir“ wird es wahrscheinlich in der direkt gegenübergestellten Konversation und inhaltlichen Konfrontation zukünftig schwer haben, viel schwerer als Leute die ein „gefällt mir nicht“ in direkter Gegenüberstellung noch ausdiskutieren können.
Ich will damit sagen, dass ich durchaus der Meinung bin, dass solche Medien Auswirkungen auf unser soziales Zusammenleben haben /haben werden, je nachdem wie bedingungslos man sich derer natürlich annimmt.
Auch mag es durchaus als großartig empfunden werden die Möglichkeit zu haben in einem Affentempo samt der inflationären Handhabung von Daten und deren Anhäufungen durchs Informationszeitalter geleitet zu werden. Ich bevorzuge einfach mittlerweile die entschleunigte Variante, die mir erlaubt, Dinge bewusster wahrzunehmen. Ich komme mir manchmal vor, als würden wir alle in einem riesen Hamsterrad stehen, indem sich alles immer schneller dreht, drehen muss, damit sich immer mehr bewegt – vor allem in Strömen. Ströme von Geld, Ströme von Daten…
Gegen das Grundbedürfnis zu kommunizieren gibt es überhaupt nichts einzuwenden! Gegen das fremdgesteuerte Einwirken seitens solcher Portale, deren Datennutzung, deren unüberschaubaren Profitstreben durch Börsengänge etc., dem Resultat dass Inhalte besonders in unserem musikalischen Bereich zunehmend dadurch verwässern, indem sie wie „spam“ durch alle Kanäle geschickt werden, hingegen schon. Gekrönt wird das durch den Punkt, dass das Portal fremdbestimmt nur selektiv die eigenen Informationen (posts) an „Fans“ übermittelt… Facebook ist in meinen Augen als Medium für die Verbreitung von musikalischen und künstlerischen Inhalten zweckentfremdet. Das ist meine Meinung hierzu, deshalb war für mich als Konsequenz die Abmeldung.
Du produzierst nach wie vor auf Vinyl, betreibst Dein eigenes Label und spielst nur in ausgewählten Locations. Wie wichtig empfindest Du es daher, sich als Künstler selbst treu zu bleiben?
Man hat gewisse Grundeinstellungen nach denen man lebt, auch wenn sich bestimmte Ansichten im Laufe der Jahre durchaus auch ändern können. Ich möchte allerdings nicht aufgrund der Tatsache, dass jetzt vermehrt mit Laptops durch die Clubs gezogen wird, digitale Files geraubt, geborgt, gezogen oder im Promovorteilsdoppelpack für unbrauchbare „supportstatements“ wie „downloaded for dj xyz “ auf einmal meine Grundeinstellung zur Vertriebsart von Musik ändern.
Deshalb hat für mich Vinylherstellung und CD-Album Produktionen nach wie vor Priorität. Allerdings klar, wenn du fortan nur noch idealistisch das durch die Gigs verdiente Geld in die Produktion physikalischer Tonträger steckst, überweist dir die „Treue zu den alten Medien“ auch nicht die Miete. Es ist mir enorm wichtig inhaltliche Freiheit als Künstler zu haben und diese zu behalten, auch wenn es das Letzte ist, was noch bleibt. Nach seinem eigenen Ermessen künstlerisch handeln zu können, ist hierbei oberstes Credo. Wenn dies nicht möglich ist, kann ich kein sich selbst treu bleibender Künstler sein.
Vielleicht sieht man mir meine grundrebellische Haltung in vielen Belangen, gerade in Betracht auf äußere Einflüsse, die sich vermehrt gegen die Sache an sich stellen, somit etwas nach.
Deine Grundhaltung zur Entwicklung der Szene könnte man als ‚sympathisch-progressiv‘ einschätzen. Siehst Du das ähnlich?
Schauen wir uns vorangegangene Konversation an, ja! Aber ob´s für viele „sympathisch“ ist, wenn ich allgemein Beliebtes in meinen Augen unbeliebt oder kritisch erscheinen lasse, sei mal dahingestellt. Ich bin vielleicht eher „progressiv-ehrlich“ das zu sagen, was ich denke, was ich beobachte, was mich stört. Ich denke, an vielen Stellen meiner 15-jährigen Laufbahn hätte ich auch einfach mal meinen Mund halten müssen, um vielleicht an einflussreichen Stellen Vorteile rauszuschlagen, nur dafür bin ich diesen Weg einst nicht eingeschlagen.
Pressefotos: Marie Staggat