Wenn man seine eigene musikalische Historie betrachtet, gibt es viele Künstler, mit denen man ein Stück des Weges gemeinsam geht. Viele machen nur eine Stippvisite, manche bleiben länger, aber nur wenige für immer.
Diese wenigen werden zu persönlichen Legenden und aus gegebenen Anlass habe ich die Ehre, hier meiner ganz persönlichen Legende ein Tribut zollen zu dürfen:
Mr. Carl Cox
Meiner Meinung nach hätte er ja neben dem „Ibiza Living Legend Award 2012“ auch den Ritterschlag der Queen verdient und dürfte sich damit auch offiziell Sir Carl Cox nennen, aber genug der subjektiven Pathetik und ab zu den Fakten:
Carl Cox ist am 29. Juli 1962 in Manchester geboren. Musik hat in seiner Familie seit jeher eine große Rolle gespielt, die Eltern haben regelmäßig eigene kleine Parties im Wohnzimmer geschmissen.
Mit zarten 8 Jahren stand Carl das erste Mal an den Decks bzw. einem einfachen Plattenspieler und das nur, weil er nicht schlafen konnte. Bald darauf musste Vater Cox einen zweiten Plattenspieler ins Wohnzimmer stellen, damit klein Carl seine ersten Mixversuche starten konnte.
Mit 15 eröffnete Carl seine erste mobile Disco und tourte mit einem Wohnmobil durch Großbritannien. Zunächst begeisterte er mit den üblichen Discosounds seine Fans, legte die ersten Chicago House Platten auf und als schließlich der legendäre „Acid Trax“ von Phuture (DJ Pierre) Anfang 1987 herauskam, wurde Carl zu den wichtigsten Protagonisten der Techno Revolution.
In den letzten 25 Jahren hat Carl Cox neben seinen legendären Sets einen unglaublichen Einfluss auf die Entwicklung der elektronischen Tanzmusik gehabt. Er war der Erste, der einen dritten Plattenspieler aufstellte und aus dem damals schon revolutionären ineinander mixen zweier Platten eine eigene Mix-Philosopie begründet hat und damit bereits Anfang der 90er für viele DJs zum Idol und Lehrmeister wurde.
Ganz nebenbei hat er einen Sound definiert und auf die Floors der Welt gebracht, der damals wie heute die Crowd zum rasen bringt: Tech-House. Wir sprechen dabei nicht vom aktuellen Trompeten Tech-House, der auch mal die Mainstreamler zum schwitzen bringt, sondern die ureigene Form von treibenden Techno mit einem Schuss Groove.
Der Sound hat einen ganz simplen Grund: Carl Cox hat sich schon immer als Entertainer verstanden: Er ist dafür verantwortlich, dass die Leute auf der Tanzfläche abgehen. Und damit die Jungs, die traditionell auf eher auf Techno stehen, auf die Tanzfläche strömen, müssen Mädels her und die stehen bekanntermaßen mehr auf die groovigeren Sachen.
Also mixt man in straighte Technotracks einfach ne feine Portion Housegrooves und der Laden bebt bis in den hintersten Winkel. Bis heute. Carl Carl ist ganz klar Vollblut DJ mit Leib und Seele bis in die letzte Faser des Körpers. An den Decks lebt er die Musik und grooved selbst im gehobenen Alter bei jedem Set mit seinem stattlichen Körper mit.
Rein die Liebe zur Musik hilft allerdings nicht, die laufenden Rechnungen zu bezahlen und sich vor weniger idealistischen Veranstaltern zu schützen, deshalb setzt sich Carl Cox seit Jahrzehnten für ein faires Business ein. Er hat schon früh in England durchgesetzt, dass DJs Bookingverträge erhalten und dafür gesorgt, dass die Künstler ihre Gage bekommen und auch als Künstler anerkannt werden.
Er hat die illegalen Parties zu genehmigten Raves befördert und damit auch anderen Geschäftspotentiale ermöglicht. Er hat viel von seinen eigenen Gagen in den Aufbau von Newcomern gesteckt und somit seine Vorbildfunktion permanent ausgebaut. Das er mit so manchen Auswüchsen des heutigen Techno-Business nicht glücklich ist, vertritt er an der einen oder anderen Stelle souverän, ohne laut zu werden.
Nicht zu vergessen ist sein Label Intec, auf dem er sowohl seine eigenen Produktionen veröffentlicht als auch Newcomer fördert und regelmäßig befreundete Künstler für Tracks verpflichten kann. Zugegebenermaßen ist der Output von Carl Cox mit eigenen Produktionen und Remixen bzw.
Releases anderer Künstler nicht vergleichbar mit so manch anderem Label, aber wenn was kommt, dann ist es maßgeblich. Und irgendwo muss auch ein Alleskönner wie Carl Cox mal nicht on Top sein.
2012 war für Carl Cox ein großes Jahr, das ihn für seine Liebe zur Musik und all seine Mühen rund um das Business entlohnt hat. Nach Pete Tong wurde ihm der „Living Legend Award“ für sein Lebenswerk auf Ibiza verliehen. Seine wöchentliche Radioshow „Carl Cox Global“ feierte mit einem fetten Event bei der ADE in Amsterdam ihren 500sten Geburtstag.
Aus einem Experiment, ein DJ Set übers Radio zu veröffentlichen, wurde in den letzten 10 Jahren eine Radioshow, die wöchentlich weltweit von 15 Mio. Menschen verfolgt wird. Zu alledem feierte Carl Cox in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag – wie es sich gebührt im Space auf Ibiza mit einem lautstarken Geburtstagsständchen der gesamten Crowd inklusive Signor Matutes (Besitzer u.a. vom Space Ibiza) am Mikro.
Trotz Ruhm und Ehre sowie sicherlich auch gut gefüllter Pensionskasse ist Carl Cox immer auf dem Teppich geblieben. Seine positive Energie und seine Leidenschaft spürt man, sobald er den Raum betritt – auch ohne das er überhaupt an einem Regler dreht. Von jedem seiner Weggefährten kommen geradezu liebevolle Hymnen über „The Big Man“, der für jeden ein Ohr hat, immer gut gelaunt ist und soweit es in seiner Macht steht, alles möglich macht. Großartig. Einen passenderen Ausdruck gibt es in unserer deutschen Sprache glaube ich nicht.
Last but indeed not least: Das Allergrößte war, ist und bleibt das Live-Erlebnis mit Carl Cox. Keine Platte, kein Recording, kein Video kann das rüberbringen, was dieser Mann bewegt, wenn er an den Decks steht. Mit dem ersten Beat springt diese positive Energie über, mit der er sein Set bis zum absoluten Höhepunkt am Schluss aufbaut.
Egal, wo er und was er auflegt: Am Strand groovy funky House, klassischer Cox Festivalsound oder straight deeper Tech-House im Club. Letzteres in Form von mehrstündigen Clubsets ist vor allem in Deutschland eine Rarität geworden. Für die eingefleischten Cox Fans wie mich das ultimative Erlebnis schlechthin.
Marathontanzen über mehrere Stunden, Gefühlswirbelstürme in Körper, Geist und Seele und das im todnüchternen Zustand. Allein der Gedanke daran kann süchtig machen. Am 26.04.2013 gibt’s im Lehmann Bescherung von Carl Cox. Und für die Wahnsinnigen gibt’s am 30.04.2013 im Loft in Ludwigshafen noch einen oben drauf.