Es gibt sie noch. Die DJs, die für Vinyl und mit Vinyl leben. Seit 1994 ist das bei Micha Drysch aus Tübingen schon so. Er kennt jede seiner Platten in und auswendig, weiß immer die Katalognummer und das Veröffentlichungsjahr dazu und natürlich auch noch, wann er sie zum ersten Mal gehört hat.
Die Leidenschaft bemerkt man nicht nur, wenn Micha von seiner Musik erzählt, sondern vor allem, wenn er an den Decks steht. Hier verschmelzen die Tracks zu einem wirklichen Gesamt-Klangkunstwerk, bei der jede Platte 100prozentig zur nächsten passt. In unserer neuen Serie „Verlorene Schätze im Plattenregal“ präsentiert uns Micha jetzt regelmäßig die besten Perlen aus seiner Sammlung.
Maurizio – Domina (incl. Carl Craig Mix) (Maurizio, 1993)
Der Maurizio Mix nimmt bereits viel von dem vorweg, was über ein Jahrzehnt später modern sein sollte: Minimales Arrangement mithilfe kleinster Modulationen ausformuliert. Das Stück ist eigentlich zweigeteilt, denn nach ca. zwei Dritteln mutiert er zum klassischen Detroit-Track. Zum vollen Glück ist das Ganze noch von Carl Craig zu einem absolut sommerlichen Housestück geremixt worden. All-Time-Favourite.
Peter Lazonby – Sacred Cycles (Brainiak, 1994)
Diese Platte ist für mich das Intro meiner Leidenschaft für elektronische Musik und war auch das Intro fr viele Donnerstage im Tübinger Cinderella. An dieser Stelle möchte ich mich auch gleich bei Dr. Gomez und Motik für diese Erfahrung bedanken. Eine leicht verzerrte Stimme im Hintergrund, ein süßes Klimpern und ein Synthie-Chord, der immer wieder aus dem Hintergrund nach vorne kommt, bis das Stck nach fnfmintigen Andeutungen dann zu Trance-Hymne wird. Macht mir immer noch Gänsehaut.
Takkyu Ishino – Anna – Letmein Letmeout
(Takkyu Ishino’s Montag Mix) (Exceptional, 1999)
Etwas aus der Abteilung Trash! Der Japaner Takkyu Ishino, auch bekannt durch seine Gruppe Denki Groove und seiner engen Verbindung mit Westbam und Konsorten, überarbeitet Trio’s „Anna – Lassmichrein Lassmichraus“. Völlig abgefahrene Mischung, die aber, mit einem gewissen Augenzwinkern, durchaus funktioniert. Nicht zu verachten sind auch die, etwas runder gestalteten, Remixe von Thomas Schumacher und Christopher Just.
Martin Solveig – „Sur La Terre“ (Mixture Stereophonic, 2002)
Falls ihr euch verwundert die Augen reiben solltet… Ja, auch Martin Solveig hat mal anständige Musik gemacht. Und zwar eines der schönsten House-Alben, das ich besitze! Klassisch deepe Arrangements mit afrikanischen Folk- und Jazzeinflüssen. Darauf gestoßen bin ich erst 2005 als ich das Stück „I’m A Good Man“ nachmittags auf der Street Parade gehört hab. Ein sonniger Moment, mit einer unglaublich intensiven Stimme von Lee Fields.
Aux 88 – „Electrotechno“ (Direct Beat, 1996)
Eine meiner „Lieblingsfragen“, die ich regelmäßig als DJ gestellt bekomme ist, ob ich auch Elektro spielen könne. Da ich, aufgrund der Zeit in der ich angefangen hab aufzulegen, noch eine andere Definition von Elektro habe als diejenigen, die mir diese Frage stellen, sollte meine Antwort eigentlich diese Platte sein. Allerdings wäre mein gegenüber wahrscheinlich enttäuscht, da er oder sie kein Großraumdiskotheken-House zu hören bekäme.
St Germain – „Boulevard – The Complete Series“ (F Communications, 1995)
Das Album war für mich mit meiner, von meinem Vater geerbten, Jazz-Affinität natürlich ein Traum. Ludovic Navarre zaubert hier klassische Jazz-Zitate in ein melancholisches Korsett von Deep-House bis Downbeat, wie ich es in dieser Qualität nie wieder gehört hab. Das Ganze klingt heute immer noch so frisch, wie damals!
Auf seiner Facebookseite www.facebook.com/drychael.misch stellt Micha Drysch fast jeden Tag eine Platte aus der Kategorie „Verlorene Schätze“ vor. Vorbeischauen lohnt sich also.