Interview Lützenkirchen

Pille, palle, druff, 3 Tage wach… ? Stil vor Talent vs Polylux

2008.03 3 Tage wach Lützenkirchen 1Wir feiern uns zu Tode. So lange bis das Alter kommt und Epilepsie zweimal wöchentlich vorbeischaut, um uns an die Toxin verherrlichende Vergangenheit zu erinnern, verschwenden wir unsere „Frischfolien“-Jugend oft ganze 3 Tage von Freitag (der Kalenderwoche 1) bis Montag (darauf folgender KW 2) in insgesamt mindestens 3 Clubs und zwar schlaflos und mit DiskoSchnupfen und natürlich: immer genug farbigen Zuckerdrops.

2008.03 3 Tage wach Lützenkirchen 3Umgerechnet 72 Stunden – aufwärts! Im Akkord! Meist sind die vorderen Gehirnlappen und die äußerst linke aber rechts sitzende Leber am Umsatz beteiligt. Nachtzuschlag gibt es generell nicht, denn der Morgen zählt bis hin zum späten Nachmittag als die härtere Schicht, die dann infarktös ausgezahlt wird. So ähnlich wie keine Rente!

2008.03 3 Tage wach Lützenkirchen 2Ja…
Manchem bleibt (bei so viel Pep) schon der Penis jedoch er selbst nicht mehr auf Füßen stehen. Nach 3 Tagen hört man auch keineswegs die Clubboxen dementieren. Zitat: „Bumm bummm tikk bummmm Tikk tschhh bummm bummm klapp umm ummm klapp umm ummm…“

2008.03 3 Tage wach Lützenkirchen 5Nun dröhnen die Boxen aber von einem anderen Lied:
Oliver Koletzkis Label Stil vor Talent und hierauf im genaueren Herr Lutzenkirchens veröffentlichte vor ein paar Tagen „3 Tage wach“.

> 3 Tage wach Video.

„Pille, palle, alle pralle, druff druff druff…“ hört man eine housige Stimme immer wieder singen. Klingt an sich wie drogenverherrlichende Clubpropaganda, die den Ausgehtod heroisiert. Doch erkennt man schon bald die Ironie und auch Kritik in Lutzenkirchens Sonderwerk. Allerdings muss man das erst einmal so sehen, was einem der stationäre Drogenpsychologe wohl sichtlich als Fortschritt diagnostizieren würde.

2008.03 3 Tage wach Lützenkirchen 4Nun gut…
Wie man es eben sehen will!
Und genauso sieht man schlaflose Protagonisten im Video von „3 Tage wach“ – feiern doch hierin Unbekannte in Häschenkostümen, bis fast der Zettel am Zeh hängt.

Nun, die Wahrheit stinkt nicht sondern stimmt: Wir vergiften uns, die tragende Mutter elektronischer Szene, schon lange mit toxischen Substanzen, die uns wach und auf niedrigem Entwicklungsstand halten und geben damit (statistisch) an, wie süchtig wir sind und kichern kirre darüber, nie geschlafen zu haben oder es auch in Zukunft nicht zu müssen.

 

 

Hm…
Welche Zukunft eigentlich?
Und warum eigentlich 3 Tage wach?
Welchen Vorteil erhofft man sich davon?
Nun, dass man dabei keinerlei extravagante Club-Sessions misst, während andere schnarchen, ist natürlich klar, doch verpassen viele viel mehr: das Leben.

Zitat: „Pille, palle, alle pralle, druff druff druff druff druff…“
Ich weiß, ich weiß… „So ist es NICHT!“, möchte man am liebsten wütend und zickig schreien, wenn man selbst dieser Musikszene angehört. Und wenn dem doch so wäre, Schuld sei dieses Image, das die Loveparade Papa Techno als Konnotation schenkte.

Ja…
Nein. Da kann wirklich niemand was dafür. Nicht einmal man selbst. Da sind dann andere schuld. Nicht ich! Da! Der da! Der ist so einer! So eine Apotheke, die unsere Clubkultur vergiftet! Ah ja, wie viel kosten diese rosa Zuckerdrops eigentlich bei dir?

Aha…
Verständlich für alle zeigt nun die Presse mit dem Finger auf die, die da so hedonistisch feiern und sich quälen, mehr als eine Party zu überleben. Natürlich machen die, die so hedonistisch feiern und sich quälen, mehr als eine Party zu überleben, das auch aus Gründen des puren Spaßes und nicht aus Prestige. Ähnlich extrovertiert agiert Fernsehen und Papier den Auflage- und Einschaltquoten entgegen und dokumentiert derzeit ein bisschen (populistisch) die Berliner Clubs und interviewt deren urbane Opfer, die ja schon durchaus sodom-und-ghomorrha-like zum Durchfeiern einladen – aber meist nur die, die da so hedonistisch feiern und sich mehr quälen, als eine Party zu überleben und das auch aus Gründen des puren Spaßes und nicht aus Prestige machen.

So…
… berichtete zum Beispiel das Fernsehformat Polylux über zwei Berliner Mädels, die versuchten (nur?) 36 Stunden (waren das Touris?) in Berlin durchzufeiern.
Ganz schön kritisch wurde da gefrotzelt von den Polylux-Redakteuren und von der Mit-dem-einzigartigen-Leberfleck-über-der-schönen-Lippe-Moderatorin Frau Bauernfeind. Na ja, eigentlich zu Recht. Allerdings mit wenig Tiefblick in die Wahrheit.

Erinnert mich irgendwie an diese „Gewalt-und-Sexismus-an-deutschen-Schulen-und-bei-ausländischen-Jugendlichen- kommt-von-Bushido“-Thematik. Prädikat: publizistisch und finanziell von Wert für Sender durch Einschaltquoten. Mehr nicht!

Derzeit steckt man Jugendliche inklusive deren musikalischer Szene gerne in eine mit Klischee voll gekotzte Schublade.

Bäh…

Wisst ihr, so eine voll gekotzte Sockenschublade mit viel zu kleinen und muffeligen, alten Socken stinkt bis zum Himmel nach journalistischer Themaverfehlung. Da finde ich Lützenkirchens druffe Psycho-Hasen pädagogisch um einiges wertvoller. Wertvoller als Einschaltquoten für Polylux. Übrigens – die Einschaltquoten von denjenigen (), die sich dann ein Bild über die Jugend machen, als hätten sie selbst Modell gestanden.

Aber die heutige Jugend ist einfach anders! Komplett! Selbst die, die anders sind, sind noch mal anders.
„Und das ist auch gut so…“ meinte neulich ein Freund auf die Frage, wie er als Schwuler dazu stehe, dass eine mit Gewichten gepiercte Mumu die Wand über der Panorama Bar illustriert.

Weniger (und auserlesene Party mit auserlesenen Menschen) ist manchmal mehr!

Mittlerweile geht man nicht mehr Tage lang aus, um am 3. Morgen mit urbaner Intension zu prahlen, sondern steht morgens um 10:00 a.m. auf und geht ein bisschen weg. Frisch geduscht! Gut gefrühstückt! Und genießt den besten Sonne-geht-auf-Sound, wenn die Jalousien ihre Stahl-Lamellen lüften – neben verschwitzten Existenzen in zu kleinen, alten Socken aus der voll gekotzten Schublade; die vom Vortag.

Leon Mabu. PARTYSAN // 04.03.2008